Nationale Sprachen haben’s einfach. Irgendwas sagt man halt so oder so – lern’s, basta! Esperanto ist nicht, kann nicht sein und will nicht sein die Sprache des mächtigen „so isses halt!“. Schon schön, aber wie übersetzen wir den Aufruf zur Ächtung, zum Verbot von Streubomben? Wie übersetzteten Sie ban cluster bombs denn ins Deutsche? „Bitte belegen Sie Streubomben doch mit einem wirklich ganz, ganz strengen Bann“? Oder vielleicht „Stop Streubomben“ oder „Hau wech die scheißendrecken Streubombe“?

Erster Schritt: „Is’n det?“ oder für routinierte Aktivisten „what are you talking about?“ Wikipedia: „Eine Streubombe (engl. cluster bomb oder cluster bomb unit, kurz CBU) besteht aus einem Behälter (engl. dispenser), der mehrere kleinerer Bomblets oder Submunitionen enthält und diese bei der Aktivierung freisetzt ...“. Mit dem Abwurf einer Bombe, teilweise mit mehr als tausend kleinen Bomben, wird also eine ganze Fläche verseucht. Da viele der ausgespuckten kleinen Bomben nicht sofort explodieren, bilden sie auf Jahre eine Gefahr für die Zivilbevölkerung und machen ganze Regionen unbegehbar. Und – zweiter Schritt - wie nennen die friedliebenden Völker dieser Welt dieses Teufelszeug?

Die Deckel-zu-Perspektive

Für Russisch und die meisten slawischen Sprachen steht der Aspekt der großen Bombe im Mittelpunkt: Кассетная бомба, Kassettenbombe, Behälterbombe, ähnlich serbisch Касетна бомба oder ukrainisch Касетна бомба. So auch in nichtslawischen Sprachen, die von den slawischen beeinflusst sind, z.B. lettisch kasešu bumba neben ķekarbumba, das ich nicht verstehe. Auch im Finnischen heißt es kasettipommi (neben einem anderen Wort, s.u.)

Die Deckel-auf-Perspektive

Eine andere Gruppe von Sprachen fokusiert auf das Innere der Bombe: Typisches Beispiel ist Spanisch, das von „bomba de racimo“ (oder „bomba «clúster»“) spricht. Racimo bedeutet Traube, Bündel. Die kleinen Bomben in der großen sehen ja ein wenig wie eine Weintraube aus, sind aber nicht so lecker. Ähnlich im Italienischen bomba a grappolo („Traubenbombe“), finnisch rypälepommi, rypäle = Traube, pommi = Bombe (mit dem üblichen Wechsel von b nach p und der Glättung von mb nach mm) und Afrikaans trosbom (tros = Traube, Bündel). Hier gehört natürlich auch das englische cluster = Traube hin und ähnlich im Niederländischen, Schwedischen, Persischen und Indonesischem (bom klaster), das aber auch zur nachstehenden Gruppe gehört.

Die Viele-kleine-Perspektive

Das dänische klyngebombe spielt darauf an, dass in der großen Bombe viele kleine sind (klynge = Menge, Gruppe, Masse), ähnlich das indonesische bom curah, curah = Menge.

Die Fragmentierung-und-Streu-Perspektive

Für eine weitere Gruppe ist das typische, zentrale Merkmal, dass sich die Containerbombe beim Auslösen zerlegt und aus der großen die kleinen Bomben herausgeschleudert werden und sich in der Fläche verteilen. Das Portugiesische nennt das fragmentação und daher bomba de fragmentação. Das Deutsche klassifiziert das Objekt nicht nach äußerem oder innerem Aussehen, sondern danach, was es tun soll, nämlich (die kleinen Bomben) streuen. Ähnlich das Ungarische szórt lőszereket, d.h. szórt = ausstreuende, d.h. Streubombe.

Die Perspektive der Zweistufigkeit

Das Französische beschreibt das Objekt recht nüchtern als bombe à sous-munitions, Bombe mit Submunition, mit zweistufiger Munition. Das geht auch im gehobenen Englisch und Deutsch („submunition“, „Submunition“). Wie im Französischen ähnlich wohl auch im Vietnamesischen.

Man könnte also nach dem aufgezeigten (exemplarischen) Befund eine sprachliche Weltkarte der Streubombe zeichnen. Die Einfärbungen liefen – vielleicht überraschend – gar nicht entsprechend den großen Sprachfamilien. So würden die drei romanischen Sprachen Spanisch, Portugiesisch und Französisch drei Klassen zugehören, Portugiesisch dem Deutschen näher als dem Spanischen stehen und dieses näher dem Persischen als dem Französischen! Dagegen finden wir in den drei „Puffersprachen“ zwischen den Konzeptblöcken, im Finnischen, Lettischen und Ungarischen, das was wir erwarten würden: Ein Zögern zwischen den einzelnen Weltsichten, mehrere mehr oder weniger gleichberechtigte Formen.

Und wie also im Esperanto?

Wie bei der Hüpfburg und vielen anderen Begriffen gibt es keine einheitliche oder auch nur klar überwiegende Perspektive. Wie in den „Puffersprachen“ gibt es daher zunächst verschiedene Lösungen. Denn natürlich kann Esperanto alle Weltsichten abbilden, kein sprachliches Problem von kaseda bombo, grapol-bombo, ŝpruc-bombo oder submunicia bombo zu sprechen. Da ist nichts „besser“ oder „schlechter“, es ist halt „anders“. Was sich endlich durchsetzt, ist nicht mehr Frage der Mathematik oder Statistik, sondern – dritter Schritt - schlicht und ergreifend des überwiegenden Sprachgebrauchs, wie er sich in Zeitschriften, Büchern, Vorträgen, schließlich Wörterbüchern dokumentiert. Wenn man der Esperanto-Vikipedio glauben darf, liegt derzeit die Traubenbombe, grapol-bombo, vorne, mit der Nebenform der Streubombe, ŝpruc-bombo.

Wenn Ihnen angesichts dessen, worum es in der Sache geht, diese sprachliche Betrachtung unangemessen, ja vielleicht zynisch vorkommt, haben Sie natürlich nicht Unrecht, ja es ehrt Sie. Aber schon das Wort cluster bomb erscheint mir zynisch: Schließlich werden keine Weintrauben zur Labung hungernder Kinder abgeworfen. Aber vielleicht wollen Sie ja im Rahmen Ihrer (allerdings begrenzten) Möglichkeiten versuchen, dagegen etwas zu unternehmen. For la grapol-bombo!