Diesen Artikel veröffentlichte ich bei Ipernity am 30.11.2011

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Einsam oder allein

-1-

Wie du siehst,
ich bin ein Stuhl.
Ich stehe in einem ziehmlich verwahrlosten Garten.
Ein Mensch hat einfach vergessen,
mich zu meinen Geschwistern dort unter das Dach zu stellen.

-2-

Es ist Herbst geworden.
Glücklicherweise ist es ein langer sonniger
und warmer Herbst.
Nur die Näche sind schon kühler.

? Was meinst du - bin ich nun einsam oder nur allein ?

Ich kenne den Unterschied.
Es sieht so aus als sei ich einsam -
aber nein - das bin ich nicht.

Ich bin nur allein.

Ich habe viel Zeit.
Und da gehen die Gedanken ein wenig zurück.
Ich erinnere mich
an schöne laue Sommerabende
- an Menschen die um einen Grill sitzen -
lachen - scherzen - singen auch schon mal stille werden.
Jemand weint - ein anderer tröstet.

Jetzt ist es still.
Man hat einfach vergessen,
mich zu meinen Geschwistern unter das Dach zu stellen.

Aber das macht mir nichts aus.
Siehst du - ich bin anspruchslos.
Mir fehlt es an nichts.
Ich brauche kein Essen kein Trinken
keine dicke Winterkleidung.

Ob es +30°C im Sommer -
oder - 20°C im Winter sind -
das macht mir nichts aus.

Eigentlich habe ich ein wenig Mitleid mit euch.

Ihr braucht so viel.
Eine warme Wohnung
einen sicheren Arbeitsplatz -
- immer Geld -
Ihr braucht Essen und Trinken
warme Kleidung.
Hin und wieder etwas Vergnügen.
Und ihr braucht Licht.
Ja - ich weiß - jetzt beginnen
die großartigen Weihnachtsmärkte.
Vor Weihnachten und
- wie ich das so sehe -
braucht ihr viel Licht.

-3-

Hin und wieder einen Glühwein.
Und wie lange sucht ihr nach Geschenken.
Oh je - ich bedaure euch.

Also Mitleid brauche ich nicht.

Ich kann hier überwintern.
Und im nächsten Frühjahr bin ich genau so fit wie jetzt.

Na ja - einen Wunsch hätte ich schon.
Wenn ich nur 5m weiter
bei meinen Geschwistern im Trockenen stehen könnte.

Moment - ich glaube -
es gibt eine Gedankenübertragung.
Da kommt ein Mensch vorbei.
Und - welch ein Wunder -
- er sieht mich -
- schaut mich an -
- er kommt -
- und -
er stellt mich zu meinen Geschwistern
unter das Dach.
-4-

Ich möchte ihm dafür danken.
- ich weiß nicht ob er das merkt -
Ah - ich glaube doch -
- Er lächelt mich an -

Und jetzt bin ich sogar nicht mehr allein

:-)


Text und Fotos von Albert Jäger

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