Beim Warten beim Frisör glitt mir heute diverse höhere Literatur durch die zarten Fingerchen. U.a. der diesen Montag erschienene Spiegel. Darin war ein Bericht über das "Opera"-Projekt (was ich mir dank des gleichnamigen Browsers merken konnte ;-)), was Messergebnisse vom CERN analysiert hatte. Der Satz "Zudem nimmt die Masse eines Körpers mit seiner Geschwindigkeit zu." blieb mir ebenfalls in Erinnerung. Man liest diesen Unsinn ja immer wieder.

Den kompletten Absatz hinter "Neutrinos knacken die Lichtgeschwindigkeit." habe ich mir eben nochmal ergooglet. Er lautet: "Das würde Einsteins spezieller Relativitätstheorie widersprechen. Die auch Laien durch die Gleichung E=mc² bekannte Theorie postuliert unter anderem, dass die Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung eines Systems unabhängig ist, es sich also um eine Naturkonstante handelt. Zudem nimmt die Masse eines Körpers mit seiner Geschwindigkeit zu. Bei Lichtgeschwindigkeit würde sie unendlich groß werden. Daher gilt sie als oberste Grenze."

Mich wundert immer wieder, dass kein Wissenschaftsredakteur über die Texte schaut. Dem Laien ist klar, dass zwischen Masse und Geschwindigkeit gerade in der Relativitätstheorie kein Zusammenhang bestehen kann, denn Masse ist dort eine alleinige Eigenschaft des Objekts, und Geschwindigkeit eine alleinige Eigenschaft des Betrachters. Auch der Physiker meint das, für den die universelle Energie-Impuls-Beziehung eigentlich E=SQRT(m²c^4+p²c²) lautet und sich somit nur in den Sonderfällen Masse m=0 (Licht) zu E=pc bzw. Impuls p=0 (Teilchen im Ruhesystem) zu E=mc² vereinfacht.

Würde man mit E=mc² auch bei bewegten Masseteilchen rechnen, hätte man gar keine skalare Masse mehr, sondern ein mathematisches Konstrukt, das physikalisch völlig unsinnig ist, da nur dessen skalarer Anteil eine physikalische Größe beschreibt. Klar, Einstein selber hatte das ursprünglich getan, hatte dann aber zu recht so seine Schwierigkeiten, z.B. Raumkrümmungen zu berechnen, da diese ja auch nur von der echten Masse abhängen -- also der, die eben nicht geschwindigkeitsabhängig ist.

Die Lichtgeschwindigkeitsgrenze hat mit Masse überhaupt nichts zu tun, sondern mit Information. Was sich nicht schneller als Licht ausbreiten kann, ist ein Kausalzusammenhang zwischen Ereignissen, also eben Information. Wenn "Neutrinos knacken die Lichtgeschwindigkeit." stimmen würde, hieße das, dass diese Teilchen keine Information transportiert hätten. Aus der Beobachtung des Messvorgangs am Detektor würde somit nicht folgen, dass das angekommene Teilchen überhaupt je losgeflogen ist. Dass Neutrinos eine solche Eigenschaft haben können, ist mir völlig neu, und ich glaube nicht dran. Ich glaube an einen Messfehler.

Aber selbst wenn sie diese Eigenschaft haben könnten, wäre das dann keine Überlichtgeschwindigkeit. Z.B. einer Zerstörung von Superpositionen verschränkter Teilchen ordnet man ja auch keine Geschwindigkeit zwischen den verschränkten Teilchen zu. (Mal abgesehen davon, dass es Superpositionen in der Quantenmechanik selber gar nicht gibt, sondern nur in einigen Deutungen ebendieser. Auch sie haben keine physikalische Existenz.) Und auch das Durchtunneln von Strecken, um ein weiteres Beispiel jenseits der Lichtgeschwindigkeit zu nennen, bemisst man nicht sinnvoll mit Geschwindigkeiten.

Fazit: Wenn es kein Messfehler ist mit den Neutrinos (wovon ich wie gesagt aber ausgehe), dann ist es ein Quanteneffekt. Aber eine echte Überlichtgeschwindigkeit -- also eine Zeitmaschine, denn dann würde sich Information rückwärts durch die Zeit bewegen --, ist es ganz bestimmt nicht. Ich bin gespannt, was die Erklärung für diese Beobachtung sein wird. Ich sehe aber nicht, dass dafür irgendein Naturgesetz "umgeschrieben werden" muss. Da phantasiert der Spiegel ungefähr so wie bei der ausgedachten geschwindigkeitsabhängigen Masse. Ein Unfug, der zu jedem Anlass erneut verbreitet wird.