Wenn ich morgens aufwache, gucke ich meistens einmal kurz bei Twitter rein, um zu sehen, was in der Welt so los ist. "Guten Morgen" wünscht mir @photoauge um 05:46 Uhr. "Atomkraft: Weltweites Staunen über die Deutschen" sagt @schreiblabor um 06:05 Uhr -- und verlinkt einen Artikel in der Welt Online. "Die Sorge der Deutschen finden viele übertrieben." steht da zu lesen. "Das Ausland reagiert meist gelassener auf die Nachrichten von dem Atomunglück in Japan.". Dann kommt eine lange Liste, wo überall neue Atomkraftwerke gebaut werden sollen.

Die Botschaft: Die Deutschen sind doof mit ihrer Panikmache. Und mit ihrem Atomausstieg. Das Ausland sei verwundert über "das Umfallen von Merkel".

Ich hatte mich schon gefragt, wann sie einsetzt: die gesteuerte Meinungsmache von Springer, Bertelsmann und Co. Wie das funktioniert, kann man sehr gut auch an dem Video sehen, dass in den Artikel eingebettet ist. Es ist ein Fernsehbeitrag von "WELT TV" für "tv.berlin":

"Die Atomangst geht um. Auch in Berlin." beginnt der Sprecher das Video.

"Radioaktive Wolken. Können die 2011 von Japan nach Deutschland ziehen? Die Leute sind verunsichert. Berichten zumindest die Medien. Gibt man bei Google 'Jod' und 'Radioaktivität' ein, so wird man schnell fündig. Apotheker verzeichnen eine erhöhte Nachfrage nach Jod. Doch ist das auch in Berlin so?" fährt der Sprecher fort.

Dann wird eine Frau von der Straße interviewt und sagt: "Es ist etwas berechtigt dran, aber ich mag nicht diese Panikmache, ja? Es stimmt schon, da ist, weiß man, was hier passiert, ne?"

Und der Sprecher weiter: "Jod gegen die Strahlung, wenn sie dann kommt. Wir erinnern uns, 1986 war sogar auch unser Obst und Gemüse betroffen. Reagieren wir einfach nur panisch, oder können die billigen Tabletten das Schlimmste verhindern?"

Und später weiter: "Auch in der Berliner Gesundheitsverwaltung warnt man vor Panikmache. Japan sei weit weg und Deutschland gut gerüstet."

Dann sagt eine 'Referatsleiterin für Atomaufsicht': "Die Bundesrepublik ist mit einem sehr dichten Messnetz für Radioaktivität überzogen. Wir würden es selber sehr früh an diesen Messgeräten feststellen können."

Und der Sprecher weiter: "Und dennoch noch einmal die Frage für alle Hypochonder: Kann Jod im Falle eines Falles helfen? Immerhin: Ein Super-GAU sei auch fast unmöglich."

Und die Antwort der Referatsleiterin: "Ich glaube, das ist nicht die richtige Frage, ob Jod Sinn macht, sondern ob wir durch die Lage in Japan in eine Situation kommen können, dass hier Maßnahmen notwendig werden, die das Einnehmen von Jodtabletten notwendig machen. Und die Antwort auf diese Frage ist ein klares Nein."

Millionen Menschen sehen diese Filme. Fast alle Nachrichtensendungen bestehen nur noch aus solchen Zulieferungen -- produziert von einem kleinen Kreis von Firmen aus dem engen Geflecht von Politik, Wirtschaft und Medien. Das Video in diesem Beispiel ist ein perfektes Lehrstück, wie diese Meinungsmache funktioniert.

Dass wir verarschten Bürger heute auch selber publizieren können, ist ein schwacher Trost. Noch vier Stunden vorher -- vor Beginn meiner kurzen Nacht -- habe ich das getan, nämlich hier. Vielleicht werden es eine Handvoll Menschen lesen. Und vielleicht auch nicht. Es geht unter. Oder klickst Du etwa auf den Link?