Ok, "Gott in der Kunst" habe ich diesen Blogeintrag nur deshalb genannt, damit man nicht schon gleich zu Beginn merkt, daß es doch wieder um Piratenpartei und Gender geht. Ich suchte einen Titel, der noch mehr abschreckt, damit der Bogen zu meinen Lieblingsthemen als Erleichterung empfunden wird. (Mir ist sowas zuzutrauen, oder? ;-) )

Spaß beiseite, es geht diesmal wirklich um Gott, und wie ich ausgerechnet auf den Titel komme, kann ich erklären: Als ich nämlich über Pfingsten auf der diesjährigen Kunstbaustelle in Bremerhaven-Grünhöfe als Fotograf tätig war, fragte mich eine Horde Kinder "Glaubst Du an Gott?". Und daran mußte ich denken, als ich heute morgen beim Aufwachblick auf's Handy diesen Tweet von @Piratenpartei las: "Interessanter Beitrag zur Debatte um ein #Burkaverbot: http://ow.ly/1Qb3y #religionsfreiheit #menschenrechte [via @Odwolfi]".

Ist eine Kritik am Burkaverbot wirklich aus Religionsfreiheit und Menschenrechten ableitbar? Aber der Reihe nach. Erstmal zu "Gott auf der Kunstbaustelle" (wie ich treffender hätte titeln können).

Ob ich an Gott glaube, bin ich Jahrzehnte nicht gefragt worden. Und noch nie von einer Gruppe muslimischer Mädchen. Immerhin klang es wie eine Frage, mit der man bloß etwas über mich erfahren wollte, also nicht wie eine Frage der Inquisition (etwa der Art "Leugnest Du die Wahrheit?"). Die Mädchen hatten offenbar irgendwo gehört, daß es Ungläubige gibt, und wollten mal in echt einen sehen. Sie haben etliche Erwachsene auf der Kunstbaustelle gefragt und ganz unterschiedliche Antworten bekommen. Von "Nein, aber ich bin trotzdem religiös, denn ich glaube an den Sozialismus" bis "Oh weh, das ist eine schwierige Frage, da muß ich erst gründlich drüber nachdenken, ich sag Euch das dann morgen" (gefolgt von dem Gemurmel "kleine Kinder schlagen und den Papst oral befriedigen" als die Mädchen außer Hörweite waren). Auch ein paar ganz schlichte "nein" waren dabei. Und auch ein "ja".

Was ich selber über das Thema denke, konnte ich in einem Satz nicht rüberbringen. Es ist am besten in meinem Blogeintrag Kirchentag in Bremen nachzulesen. Ich stehe für Religionsfreiheit mit einer gewissen Sympathie für reformiert-christliche Werte als Grundlage einer gemeinsamen säkularen Gesellschaft von Gläubigen, Agnostikern und Atheisten. Integration ist mir wichtiger als Stärke oder Richtung des Glaubens und ich empfehle auch an dieser Stelle noch einmal den Link "Muss man Religiosität respektieren? Über Glaubensfragen und den Stolz einer säkularen Gesellschaft", den ich in meinem Kirchentag-Blogeintrag nannte.

Daß ich auf der Kunstbaustelle den Kindern keine bessere Antwort als "nein" geben konnte, hat mich im Nachgang noch weiter beschäftigt. "Aber woher kommt dann die Welt, wenn sie keiner geschaffen hat?" war ihre Gegenfrage. Mit meiner Replik "Nur weil ich darauf keine Antwort habe, muß ich mir doch keine ausdenken!" waren die Kinder bereits überfordert und zogen weiter. Mich aber ließ das Thema nicht mehr los. Und als ich am Dienstag nach Pfingsten dann eine Stunde Wartezeit beim Augenarzt hatte (weil auf der Kunstbaustelle leider beißend kalter Wind durch die Häuserschluchten in Ohr und Auge pfoff), las ich im Wartezimmer über Gott im PDF von http://www.europäischewerte.info. Dort wird ein "voll entwickeltes humanistisches Weltbild" als Säule von sechs "europäischen Werten" definiert:

  • Ab Stufe 1 "Humanistisches Denken" ist auch der Mensch etwas wert und nicht nur Gott. Bildung ist erlaubt und erstrebenswert, auch wenn sie die Gottesfurcht verringert. Das Wohlergehen des Individuums und eine Selbstbestimmung über seine Lebensbedingungen mitsamt Eigenverantwortung ist wünschenswert. Glück im Jenseits muß nicht mehr durch Leiden im Diesseits erkämpft werden.
  • Ab Stufe 2 "Rationalität" ist das von Vernunft bestimmte Denken des Menschen auch als Erkenntnisquelle zulässig, d.h. "gottgegebene Argumente" dürfen hinterfragt werden. Absolutistische Denk- und Handlungsverbote sind unzulässig und "heilige Schriften" verlieren an Bedeutung.
  • Ab Stufe 3 "Säkularität" ist Religion Privatsache geworden. Weltliche und religiöse Macht sind getrennt, und Gesetze für das Zusammenleben der Menschen sind ausschließlich von Menschen gemacht. Religiöse Gesetzgebung ist unzulässig, Pflichtschulen dürfen nur noch nichtkonfessionellen Ethikunterricht geben.
  • Die Stufen 4, 5 und 6 sind dann Rechtsstaatlichkeit (Grundrechte, Gewaltenteilung), Demokratie (freie Wahlen, Opposition, Pressefreiheit) und Menschenrechte (Freiheit, Gleichheit, Solidarität).

Was von diesem Text zu halten ist -- also ob ihn Spinner geschrieben haben oder Gelehrte -- sei jetzt mal dahingestellt. Jedenfalls ist die dort formulierte Botschaft die, daß Eigenverantwortung und Vernunft der Individuen, sowie von Menschen ausgehende Gesetze für das Zusammenleben in der Gesellschaft -- also das Zurückdrängen von Gott ins Private --, die Grundlage für unser europäisches Wertesystem ist.

Wie ich den Kindern das hätte in wenigen Sätzen erklären sollen -- ich weiß es nicht. Mir persönlich fehlt in der Betrachtung auch die Hochschätzung reformiert-christlicher Werte wie z.B. Nächstenliebe. Es ist nicht nur das Zurückdrängen Gottes ins Private, sondern es sind auch die durch Gott im Privaten vermittelten sozialen Werte, die das säkulare Zusammenleben möglich und angenehm machen. Kurzum: Ich bin Atheist, aber ich bin kein Religionsgegner. Das Säkulare ist wichtig -- nicht der Unglaube. Der Unglaube muß -- wie der Glaube -- nur diskrimierungsfrei möglich sein!

Damit ist das Thema durch, und ich kann wieder zur Piratenpartei kommen. ;-) Im Ernst, der eingangs erwähnte Tweet von @Piratenpartei zum Burkaverbot enthält einen Link auf einen Text, in dem Menschen, die ein Burkaverbot diskutieren, zu "rechtspopulistischen Rattenfängern und ihren Trittbrettfahrern" stigmatisiert werden. Der ganze Text ist eine mit Standard-Vokabeln durchseuchte dumme Hetzschrift. Immerhin hat @Piratenpartei dies nur mit dem Kommentar "Interessanter Beitrag" geretweetet, was offensichtlich richtig ist. Es ist nämlich wirklich interessant, wessen Geistes diese Autorin als "Pressereferentin von Amnesty International Österreich" offenbar ist. Schade um den guten Ruf jener Organisation.

Übrigens ist ein Schleier (von Kopftuch bis Burka) kein in erster Linie religiöses Symbol, sondern primär ein sexuelles. Und der gesellschaftliche Druck, einen Schleier tragen zu müssen (für Frauen) bzw. es nicht zu dürfen (für Männer) ist nicht in erster Linie religiös motiviert, sondern vorrangig eine Gender-Kultur. Und damit habe ich auch meine Drohung wahrgemacht und bin wieder bei dem Thema Piratenpartei und Gender angekommen. ;-) Aber keine Panik -- ich führe das heute nicht weiter aus.

Ich verbinde nun abschließend nur noch die beiden Themen dieses Blogeintrags (Gott auf der Kunstbaustelle und meine Kritik an der Kritik der Diskussion um ein Burkaverbot) und fasse wie folgt zusammen: Daß eine Religion für sich in Anspruch nimmt, ihren Anhängern einen "privilegierten Zugang zur Wahrheit" zu verschaffen, liegt in ihrem Wesen und ist nicht zu kritisieren. Wenn eine Religion aber über die persönliche Erklärung von Herkunft und Jenseits und über das Spenden von privatem Trost hinaus Einfluß nimmt auf die Regeln des Zusammenlebens zwischen Menschen, dann ist die Grundlage zerstört, auf der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte überhaupt erst basieren.

Schleier an Frauen, ob (islamistisches) Kopftuch oder Burka, sind nicht nur in perverser Weise Geschlechter-diskriminierend -- sie sind auch noch antisäkular religiös hinterlegt. Es kann und darf nicht tabu sein, in dieser Angelegenheit auch Verbote zu diskutieren!