Von – wiederum, allerherzlichst – Ihrem Günter GraSS
Warum schwieg ich überdies, schwieg all die Jahre
Von dem anderen Land, das mein Land provozierte
Anno Neunzehnneununddreißig, bis aufs Blut.
Und dann aber als unschuldiges Opfer davonkam
Während mein Land unter einer unbarmherzigen
Siegerknute ächzte und bis heute auf den Knien rutscht?
Warum untersagte ich mir immer wieder
Jenen großen, mißverstandenen Mann zu ehren
Ohne den wir immer nur in Bus und Bahn unterwegs wären
Statt unsere Motorgefährte auch mal schön auszufahren mit
Tempo Zweihundertvierzig und Wind in unserem Haar
Beziehungsweise Schnurrbart.
Das allgemeine Verschweigen dieser Tatbestände
Empfinde ich als Lüge, gewiß irgendwie
politisch korrekt, wie es heute so sein muß
Will man nicht als Rechtsterrorist gebrandmarkt werden
Aber trotzdem als hundsgemeine Lüge.
Und so will ich von nun an stets und immerfort sagen
Was gesagt werden muß, gerade von uns Deutschen
Über den Schandvertrag von Versailles, über Olympia ’36
Über Stalin, die Kriegsschuld, die angeblichen
Sechs Millionen, mit denen "man" seit Jahrzehnten
Mitgefühl und vielviel Geld aus uns herauspreßt, ja saugt.
Über all dies will ich nicht mehr schweigen
Solange ich noch gehörig Tinte auf dem Füller hab
Und das übrigens auch im übertragenen
Sinne, meine hochverehrten Damen!
Quelle: Titanic
Günter Grass hat mit seinem Israel-Gedicht für einen handfesten Skandal ausgelöst. Der Schriftsteller Leon de Winter versucht ihn mit den eigenen Mitteln zu schlagen. Eine Antwort in Versform:
Der Günter konnt' sich nicht bezwingen,
die alte deutsche Wahrheit sollt erklingen:
Die Juden sind an allem schuld!
Warum bloß verlor Günter die Geduld?
Wo blieb sein Verstand, was hat ihn beseelt?
Okay …
Hier wird die ganze Geschichte erzählt!
Günter Grass hat ein politisches Gedicht publiziert,
und alle Zeitungen haben es ausführlich zitiert.
Journalisten und Denker geraten sich nun ins Gehege,
als brächte das Gedicht so viel Großes zuwege.
Dabei ist Günters Pamphlet ein reimloses Gedicht,
trockene Lyrik, ganz ohne Gewicht.
Warum lässt er nicht die Wörter tanzen?
Warum nur hinter Prosa verschanzen?
Wer reimt, der geht stets hin und her,
der geht vor und auch wieder Zeilen zurück,
so wie der Tänzer in seinem Lieblingsstück.
"Was gesagt werden muss"
Der Dichter aber, der reimlos dichtet, was wünscht der?
Da bin ich rasch am Ende, zum Glück!
Günter dichtet reimlos über die israelische Gefahr,
Literatur scheint ihm lässlich, denn es ist wahr!
Doch Frieden ist es, was die Juden wollen,
für Günter Grass ein Grund zum Grollen?
Warum wollen die Juden leben im eigenen Land,
lieber in der Wüste, in der Hitze, nur mit Sand,
als bei Günter mit seinem scharfen Verstand?
Da sind doch iranische Führer, die freiheraus sagen:
Das jüdische Krebsgeschwür woll'n wir entfernen.
Was das bedeutet, müssen die Juden nicht fragen.
Sie kennen die Fakten – sie hatten die Zeit zu lernen.
Sie sagen: Wir warten nicht, sondern attackieren.
Denn tun wir das nicht, können wir nur verlieren.
Wie unsere Vorfahren, die (obwohl von Günter verteidigt ...
– Pardon, von Günter als Waffen-SSler beleidigt),
trostlos getötet; wir kennen das Schicksal,
die Pein und die Qual
wie sie einsam und schweigend und nackt und kahl,
hungernd nach Brot und dürstend nach Wasser,
knien mussten vor dem Judenhasser.
Günter sieht diesen Zusammenhang nicht.
Er rät zu warten, völlig gelassen,
bis Iraner die Bomben fallen lassen.
So der Ton, der aus seinen Zeilen spricht.
Nicht den Koreanern, nicht den Chinesen,
nicht den Syrern oder den Sudanesen,
nein, den Juden schenkt der Günter ein Gedicht!
Denn Günter meint, es sei nun genug gewesen,
mit dem Gewicht der Geschichte aus jüdischer Sicht.
So sind die Juden denn die weltweit größte Gefahr,
folgt man den Gedanken unter Günters grauem Haar.
Hat er recht? Oder ist er verwirrt momentan?
Die Juden träumen vom Ende des Iran?
Nein, das ist Günters Erfindung, nicht Tel Avivs Plan.
Nie haben die Juden mit der A-Bombe gedroht,
es sind die Iraner, die reden von Vernichtung und Tod.
Doch darüber macht Günter sich keine Sorgen,
ihm ging's um die Juden, die seine Ruhe stören jeden Morgen!
Zu viele Jahre schon hört er beim Erwachen
die Juden mit ihrem marternden Gewissen.
Schluss damit! Schluss mit dem hebräischen Lachen!
Die sind ja irre, die haben verschissen!
Es war fast zu spät:
Aber jetzt war's genug mit jüdischen Ängsten,
jüdischer Moral und Superiorität!
Die wollen doch die Palästinenser schmoren,
durch sie ist der Nahe Osten verloren!
Nicht besser als die Nazis sind sie!
Günter Grass ist tief überzeugt:
Die Juden werden die Welt vernichten.
Da ward es Zeit für Günter, reimlos zu dichten.
O mein Gott, hat er gedacht, ich schreibe es!
Sollen ruhig alle davon berichten,
mir doch egal, was die Folgen sind.
Ich mach es, ich, Günter, ich bin kein Kind ...
Die Juden sind an allem schuld!
So, das ist meine Meinung: Schluss mit der Geduld!
Günter wollte es schon lange schreiben.
Jetzt ist es raus, muss nicht mehr im Geheimen bleiben.
Jetzt geht es um in der ganzen Welt.
Er hat nicht mehr diese schreckliche Bange.
Günter hat endlich die Frage gestellt:
"Warum schweige ich, verschweige zu lange?"
Jetzt ist er ein Held.
Ja, ein Held,
so klingt es von Teheran
bis Frankfurt am Main.
Endlich Ruhe, er hat es getan!
Punktum: Er ist kein Tropf,
sondern ein Held,
sagt man in Riad im königlichen Zelt.
Und daheim erst, in Schleswig-Holstein:
Ein Held! Ein Held
Endlich Schluss mit der Pein,
endlich Ruhe im Kopf,
endlich herrlich judenrein.
Wir sind am Ende angekommen.
Dank an Herrn Grass für den unschönen Anstoß,
für das dumme Zeug, das er von Hassern übernommen.
Nach Verlust des Verstands, das scheint wohl klar.
Seine Blechtrommel bleibt, und die ist groß.
Für die sind wir ihm wirklich dankbar.
Geschrieben auf Deutsch und bereichert von meiner Übersetzerin Hanni Ehlers
Leon de Winter, vielfach ausgezeichneter niederländischer Schriftsteller, lebt in Amsterdam und Los Angeles, von wo aus er zurzeit für die "Welt"-Gruppe über die USA berichtet. Der 1954 geborene Winter stammt aus einer jüdischen Familie, seine Eltern überlebten den Holocaust in einem Versteck.
Welt.de
Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: "Grass redet Blech und trommelt in die falsche Richtung."
Sign-in to write a comment.