Letzten Sonnabend verbrachte ich gut zwei Stunden im Kunstraum Geestemünde in Bremerhaven. Bei schönstem Sonnenschein von 12-14 Uhr -- am Tag vor der Zeitumstellung auf Sommerzeit. Also genau die schönsten Sonnenstunden des Tages. War ich drin. Also nicht in der Sonne.



Ich war freiwillig dort. Es war meine Idee. Ich wollte da hin. Ich wollte die Fotos angucken, die dort ausgestellt waren.

Auch Skulpturen waren zu sehen (ein Künstler bestückt immer die Wände und ein anderer den Raum -- monatlich am 1. Freitag ist Wechsel). Mit Skulpturen kann ich nichts anfangen. Ich bin geübt darin, sie vor Ort gar nicht wahrzunehmen. An die Skulpturen, die hier zu sehen sind, kann ich mich z.B. nicht erinnern. Sie müssen aber dagewesen sein, denn meine acht Bilder, die ich hier von der Ausstellung zeige, sind alle vollkommen unbearbeitet -- auch keine Kontrastanpassung oder ein nachträglicher Ausschnitt. Also hat auch niemand Skulpturen reinmontiert.



Es waren auch beide Künstler anwesend. Sie haben mein Liebchen, das mit mir dort war, in ein langes Gespräch verwickelt. Es muss ein interessantes Gespräch gewesen sein, denn die Zeit verging wie im Fluge. Auch für mich, obwohl ich nicht zugehört habe und nicht weiß, worum es ging. Ich höre nie zu. Aber ich beobachte mein Liebchen, wenn es im Gespräch ist, hänge an ihren Gesten und dem Klang ihrer Stimme. Es macht mich glücklich, wenn ich an ihrem Leben teilnehmen kann. Ich will es so. Ich wollte nicht nur zum Kunstraum hin -- ich wollte auch die lange Zeit mir ihr dort bleiben. Kunst ist ihr Leben.

Natürlich habe ich auch die Fotos angeguckt, wegen denen ich eigentlich gekommen war. Jedes einzeln. Mehrmals. Ich hatte ja Zeit. Sie waren auch recht dekorativ, und man konnte seine Gedanken dabei gut schweifen lassen, weil sie nicht durch die Fotos abgelenkt wurden. Sehenden Auges sah man -- nichts. Sie gefielen mir trotzdem. Es muss nicht alles eine Aussage haben oder irgendeine Ausdruckskraft. Außerdem ist ja alles Kunst, soll Joseph Beuys gesagt haben, sagt mein Liebchen, den manche für einen Scharlatan halten.

"Die Theorie der 'Sozialen Plastik' besagt, jeder Mensch könne durch kreatives Handeln zum Wohl der Gemeinschaft beitragen und dadurch plastizierend auf die Gesellschaft einwirken" sagt die Wikipedia zum "erweiterten Kunstbegriff" von Beuys. "Jeder Mensch ein Künstler – Auf dem Weg zur Freiheitsgestalt des sozialen Organismus" sei eine Schrift dazu von ihm. Die Anthroposophie Rudolf Steiners lässt grüßen. Aber ein Gutes hat sie hier -- einen unanstrengenden Kunstbegriff: Alles ist Kunst. Und vor allen Dingen jeder.



Den Schluss der Diskussion im Kunstraum habe ich übrigens doch noch mitbekommen. Ich habe mir nämlich einen Stuhl geholt und mich dazugesetzt. Aber hinter eine Theke, damit ich das weiße Jackett des Fotografen nicht sehen musste. Leute im weißen Jackett kann ich nämlich nicht ernst nehmen -- es sei denn ich sehe es nicht. Es ging um das gleiche Thema wie hier eben, also um die Frage "Was ist Kunst?". Eine These war, dass nur das Kunst ist, was im öffentlichen Raum etwas verändert oder verändern würde und was der Künstler in ebendieser Absicht erschaffen hat.

Oder so. Ich habe alles wieder vergessen, denn ich bevorzuge eigentlich eher Gespräche über z.B. Quantenphysik oder über die Philosophie der Berechenbarkeit. Also über handfeste Sachen. Aber dennoch: Es war ein anregender Aufenthalt im Kunstraum Geestemünde, an den ich noch lange positiv zurückdenken werde. Er hat mich so sehr beeindruckt, dass ich mit dem Bericht in diesem Blogeintrag bemüht bin, plastizierend auf die Gesellschaft einzuwirken.

Diese Woche Freitag, den 1. April, ist dort wieder eine Vernissage.