Beim Sichten der Bilder von der letzten Kunstbaustelle in Bremerhaven-Grünhöfe bin ich auf eines gestoßen, das nicht die Kunstbaustelle zeigt, sondern den Blick von dieser auf ein Haus:



Mich erinnert der Strichcode an den Häusern in Grünhöfe immer an die (ca. 2000 produzierte US-)Fernsehserie Dark Angel, in der Kinder aus einer militärischen Zuchteinrichtung einen Strichcode im Nacken bekommen haben, der sie als von der Gesellschaft abzuschottenden Forschungsgegenstand markiert. Die Rassismuskritik dieser Serie spielte bewusst auf die Assoziation mit den auf die Unterarme tätowierten Nummern der Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz an.

Stichcodes (die ja Nummern darstellen), insbesondere farbige (siehe die KZ-Winkel) an Häuser anzubringen, hat für mich daher unmittelbar die Bedeutung einer Stigmatisierung der Bewohner als Auszugrenzende. Tatsächlich wird Grünhöfe wegen des Charakters als bundesweite "Hartz IV Musterkommune" auch gerne als Referenzstadtteil für die Strategie genommen, die früher gegen Juden und heute gegen "sozial Schwache" gefahren wird: diffamieren->ausgrenzen->vernichten. Der Strichcode an den Häusern Grünhöfes visualisiert den Übergang zur Ausgrenzung, in dem er die Häuser der "Asozialen" entsprechend markiert.

Nachdem ich im letzten Jahr das erste Mal zufällig nach Grünhöfe kam und mir beim unverhofften Anblick der Stichcodes fast schlecht geworden ist, hatte ich mal recherchiert, was als offizielle Begründung für das Anbringen dieser Markierungen vorgegeben wurde. Ich fand u.a. dies: "Bei der Sanierung eines Stadtteils aus den fünfziger Jahren in Bremerhaven spielt die Identifikation der Bewohner mit ihrem Viertel eine wichtige Rolle. Ein Farbmasterplan soll wesentlich dazu beitragen, das Viertel aufzuwerten. Im Norden des Viertels kennzeichnen Farbcodes in Gelb-Rot-Nuancen die Gebäude. Für die Farbcodes war die Natur Vorbild. Die Streifen an den Balkonbrüstungen, Giebelseiten und Eingangsbereichen dienen der Orientierung und sollen dem Viertel Identität geben."

Das Perfide an diesem "Farbmasterplan" ist, daß ich nicht der Einzige bin, der hier keine "Identifikation der Bewohner" entdecken kann -- sondern eben nur eine starke Stigmatisierung. Und ich glaube, daß dies auch so gewollt ist. Es sollen Warnhinweise sein für die restlichen Bremerhavener: Fahrt nicht hier durch! An einer anderen Stelle in Grünhöfe ist ein Ufo zu sehen. Man identifiziert sich sofort mit den Außerirdischen, die dort abgestürzt sind. Es symbolisiert: Hier wohnen andere Wesen. Hier kommt man nicht freiwillig her.

In diesem Jahr ist die Entwicklung schon eine Phase weiter. Es wird in der Politik offen diskutiert, für bestimmte Bevölkerungsschichten staatliche Sozialhilfeleistungen ganz zu streichen. Die Phase der Vernichtung. Die Strichcodes an den Häusern von Grünhöfe zeigen mir, daß unsere Gesellschaft so weit ist, Vernichtung wieder zuzulassen. Wir sehen an ihnen, daß sich die Geschichte wiederholt.

Um diese Sache nun aber doch noch mal zu hinterfragen, habe ich heute erneut gegoogelt und eine Diplomarbeit der "Universität für Bodenkultur Wien" über "Positives Altern in der Stadt" gefunden. In dieser heißt es "Ein interessantes Beispiel dazu ist das deutsche Projekt „Grünhöfe Bremerhaven“. In der, mit der Gartenstadtidee gebauten Siedlung aus den Fünfzigern wurde ein Farbmasterplan erstellt, der die Orientierung der Bewohner erleichtern soll. Ziel war das Herausheben der vier Bausegmente sowie die Betonung einer städtebaulichen Gemeinschaft. Schließlich entstanden die ‚Color Stripes’, diese Farbstreifen sind laut Markus Schlegel: „… die grafische Übersetzung dessen, was die Natur der ‚Gartenstadt’ als Farbspektrum im Verlauf eines Jahres bietet.“ (Schlegel In: DGGL 2007, 33) Es entstanden 900 Streifenkompositionen, wie in Abbildung 10 dargestellt, die in sich schlüssig und harmonisch wirken."

Vorgebliche Intention und tatsächliche Wirkung. Wie weit sie doch auseinanderklaffen können! Den besagten Masterplan gibt's als Abbildung in der Diplomarbeit: