In der Mittagspause -- wenn man denn überhaupt eine macht -- muß man sich nicht in die Sonne setzen und Stullen mümmeln. Man kann auch im (privaten) Blog des Versammlungsleiters des vergangenen Bundesparteitags der Piratenpartei herumklicken und dabei munter am Scrollrad seiner Maus herumfummeln. Auf die Idee kommt man, wenn man den sowieso abonniert hat, weil man jene Person auf mehreren Parteitreffen (sehr flüchtig, aber eben persönlich) kennengelernt hat.

Mittagspausen sind kurz, weswegen ich hier nur stichpunktartig meine spontanen Gedanken dazu aufschreiben kann: Der heutige Eintrag von Sekor heißt "Frauen und Piraten". Er schreibt "Fast hatte ich den Eindruck, der Idealzustand in Sachen Geschlechter bei den Piraten sei erreicht. Wenn da nicht immer wieder ein leises Störfeuer gewesen wäre." und unterstützt dann "voll und ganz" eine Initiative, die Frauen in der Partei auffordert, sich auf einer Wikiseite öffentlich zu präsentieren.

Ich traue mich kaum, das zu schreiben, aber das erinnert mich an rechtsradikale Gruppierungen, denen ebenfalls Männerdominiertheit vorgeworfen wird, und die ebenfalls ihre Alibifrauen dazu aufrufen, sich zu präsentieren. Auch wenn im Aufruf jener Kine der Aufoktroyiertheit des sozialen Geschlechts sprachlich vorbildlich genüge getan wird -- was dem biologistischen Geschlechtermodell rechtsradikaler Gruppierungen diametral entgegensteht -- finde ich ihn trotzdem extrem sexistisch.

Nochmal ganz deutlich: Ich vergleiche hier keine Piraten mit Rechtsradikalen. Im Gegenteil: Ich lobe den post-gender-Anspruch der Piraten. Nur zeigen solche Initiativen wie die von Sekor unterstützte, daß die Piratenpartei eben gerade noch NICHT jenseits einer Gender-Debatte steht, sondern diese noch vor sich hat. Es ist nicht "Störfeuer", das den fast erreichten "Idealzustand" beschädigt, sondern es sind Aufschreie, die die derzeit bestehenden Geschlechter-Abgründe in der Partei aufzeigen. Die Piratenpartei ist prä-gender.

Anderes Thema: Bereits vor 10 Tagen schrieb Sekor einen Eintrag "PIRATEN eine Volkspartei?" (den ich aber auch erst jetzt finde -- so viele Mittagspausen habe ich nicht ;-)) Darin geht es um die Diskussion um die Erweiterung des Parteiprogramms. Er schreibt:

"Warum sind die meisten von uns Piraten geworden? Sicher nicht, weil wir für oder gegen einen Atomausstieg streiten wollten. Wir sind Piraten geworden, weil wir eine Zensur des Internets verhindern wollen. Wir sind Piraten, weil wir überzeugt sind, dass Informationen niemandem gehören. Wir sind Piraten, weil wir das Grundgesetz schützen und die Freiheit bewahren wollen."

Diesen Text kann ich nun wiederum voll unterschreiben. Er trifft es perfekt: Wir sind für freies Wissen und für Kulturvielfalt. Wir sind für die Bewahrung von Netzneutralität und informationeller Selbstbestimmung. Wir sind für den Erhalt von Rechtssstaatlichkeit, Demokratie und Privatsphäre. Wir wollen das Grundgesetz schützen und die Freiheit bewahren, sind also gegen Präventivstaatlichkeit, Umkehr der Unschuldsvermutung und Eingriffe in die Informationsfreiheit. Und wir sind deswegen Piraten geworden.

Aber! Und hier gibt es wirklich ein fettes Aber:

(1) Wir besetzen weder in der gesellschaftlichen noch in der politischen noch in der öffentlichen Debatte irgendeines unserer Kernthemen. Das machen durchweg andere -- meistens irgendwelche Bürgerrechtsbewegungen oder (zunehmend) andere Parteien. Und das wird auch so bleiben.

(2) Auch unsere Wähler wählten uns nicht wegen unserer Themen. Es waren zum Teil Protestwähler und zum Teil Menschen, die in die Hoffnung investiert hatten, daß wir in der Zukunft mal eine wählbarere Partei als die anderen werden -- wenn wir denn irgendwann mal eine werden. Diese Hoffnung schwindet zusehends. Und auch die Protestwähler ziehen weiter.

Und beides ist keine Überraschung! Die Piratenpartei kann dem Weg in die Bedeutungslosigkeit nur entgegensteuern, wenn sie eine Partei wird, die eben NICHT "für jeden wählbar" bleibt, "unabhängig davon, ob er Grün, Gelb, Rot oder Schwarz in der Gesinnung ist" (Sekor). Eine solche Partei ist für NIEMANDEN wählbar!

Beispiel BGE (= Bedingungsloses Grundeinkommen). Ich hatte mich mit dem Thema eine ganze Weile lang eingehender beschäftigt und irgendwann begriffen, welche Rolle Parteien in der Debatte spielen: Sie nehmen in Arbeitsgruppen und parteinahen Stiftungen das Thema auf und spiegeln es mit der Gesamtausrichtung der Partei. Da es ein Querschnittsthema über alle Bereiche von Politik und Gesellschaft ist, braucht es entsprechend auch eine Partei mit einem Vollprogramm. Eine Themenpartei -- auch wenn das BGE wie im Falle der Piraten oder der Violetten perfekt zu den Kernthemen der Partei paßt -- kann mit einem entsprechenden Vorschlag nicht ernst genommen werden!

Und ganz ehrlich: Eine Partei, die sich z.B. zum Austieg aus dem Atomausstieg oder zu Kriegseinsätzen der Bundeswehr nicht positioniert, würde ich persönlich überhaupt niemals ernst nehmen. Anders gesagt: Wir mögen zwar vielleicht nicht Piraten geworden sein, "weil wir für oder gegen einen Atomausstieg streiten wollten". Aber wenn wir eine Partei sein wollen, dann müssen wir das jetzt tun!! Wir müssen keine "Volkspartei" werden. Aber eine Vollpartei. (Zumindest auf Bundesebene. Vollprogramme auf Landesebene halte ich für sinnfrei und kontraproduktiv. Landespolitik könnte die Piratenpartei auf absehbare Zeit ohnehin auch personell gar nicht leisten.)

Was von den beiden Themen, die ich mir heute anläßlich Sekors Blog herausgepickt habe, nun wichtiger bzw. dringlicher ist (also erst das erwachsen werden inkl. Genderdebatte und Ähnlichem oder erstmal ein Vollprogramm entwickeln) -- ich weiß es nicht. Aber ich kann zum Schluß nochmal zum ersten Thema zurückkommen (mehr als 2 Themen gehen eben nicht in 1 Mittagspause ;-)) und mich diesbezüglich selbst zitieren. Bereits gestern schrieb ich dazu nämlich in einem anderen Blog als Kommentar dies:

@Annubis zu “warum ist diese genderdiskussion so wichtig für euch?” und “ist es nicht absoluter blödsinn eine partei auszubremsen mit so ner idiotischen frage?”:

Die Antwort hat Piratenweib auch schon im Text gegeben: “Fragt sich eigentlich noch jemand, warum die Partei nicht über 2% kommen KANN? Oder warum viele, viele Frauen keinen BOCK auf so einen Zirkus haben?”

In Bingen hat ein infantiler Haufen von Prä-Gender-Nerds der Welt vorgeführt, warum die Piratenpartei noch völlig unwählbar ist.

Ich bin Mitglied geworden, um mitzuhelfen, das zu ändern. Und Lenas Engagement in Bingen hat mir ein bißchen Hoffnung gemacht, daß es irgendwann auch klappt. Wir brauchen Humanisten und Politologen in der Partei … und vor allen Dingen Feministen.

So lange die Unterschiedlichkeit der Lebensrealitäten der Geschlechter derart krass ist, muß man die Sache durch thematisieren angehen und nicht durch tabuisieren.

Die Partei wird durch die Debatte nicht gebremst. Sie kämpft mit der Debatte um ihr Überleben! Ohne diese würde sie untergehen.


Ach ja: Heute abend ist Kreisverbandsgründung Bremerhaven. Ich werde da sein!

Und am 30. ist Bremer Landesparteitag (auch in Bremerhaven!). Und auf dem treffe ich dann auch Sekor wieder...

Gut, daß es unterschiedliche Meinungen gibt!