1. Das dialogische neue Denken in der Philosophie hat den klassischen Idealismus schon mehr als hundert Jahre über­wunden. Fast gleichzeitig als auch die künstlerisch-kon­struierte, dialogische Sprache Esperanto erschien, welche gleichzeitig auch die klassische Linguistik überwand. Das war die Zeit der Sezession, als sich die Kunst nicht mehr den Re­geln der klassischen Tugenden unterwerfen wollte und suchte neue Wege.

Für klassische Denker erschien diese neue Bewegung als ein nicht seriöser Chaos, welche sie, wo sie nur konnten, lächer­lich diskreditieren wollten und deren Erfolg verhindern. In diese sozial-psychologische, geistige Lage ist Esperanto hin­eingeboren.

Aber die Kunst ist die freieste menschlich-schöpferische Tä­tigkeit, folglich haben sich die Künstler von der zerstöreri­schen Kritik nicht beeinflussen lassen. So wurden sie die Avantgarde der neuen Denk- und Verhaltensweise.

Die Zurückweisung seitens der Klassiker wurde manchmal so grausam, dass für die neue Denker blieb keine andere Mög­lichkeit, als die klassisch-nationalistischen Länder vom alten Europa zu verlassen, wo ihre Unternehmungen unerträglich behindert wurden.

Auf dem amerikanischen Kontinent (noch damals) waren sie sehr willkommen. Künstler, Wissenschaftler, viele Intellektu­elle, verließen die immer stärker nationalisierten Staaten in Europa. In den demokratischen Ländern der „neuen Welt“ konnten sie frei die klassischen Wissenschaften übersteigend und das neue Denken weiterentwickeln.

Ganz neue Wissenschaften sind entstanden, so wie z.B. die Psychologie, Sozialpsychologie, Politologie, Friedensfor­schung usw. Auch die Natur- und technische Wissenschaften profitierten von der Befreiung aus der Klassik. Die aristoteli­sche Logik, welche bis dann das wissenschaftliche Denken re­gulierte und reduzierte, wurde in der Philosophie überwunden.

Für das Denken eröffnete sich „die freie Weite“[1], in welcher sich die Klassik relativierte. Relativitätstheorie von Einstein und die Quantenmechanik von Max Planck sind Ergebnisse der Überwindung der klassischen Physik. Die jetzige techni­sche Lebensweise der Menschen ist voll von dieser Entwick­lung determiniert. So im unendlichen Makroraum der Astro­nomie, als auch im Mikroraum der Nanotechnologie.

Von den neuen Denkern sind viele zukünftige Probleme vo­r­aus­­­gesehen worden, aber ihre Warnungen wurden nur von sehr wenigen verstanden. Die Geschichte bräuchte noch zwei grau­same Kriege bis zur Erfahrung der Grenzsituationen in der Welt. Erst in der Gegenwart zeigte sich voll die Notwendigkeit des neuen Denkens.

In unserer Zeit meldeten sich klar die Probleme so in der Na­tur, wie auch in der Gesellschaft. Es wurde nicht mehr mög­lich so zu herrschen, wie vorher die Klassik dachte. Nicht mehr in der Gesellschaft nach dem Fiasko der dialektischen Revolutionen, nachdem sich die dialogische Demokratie als Alternative meldete. Und nicht mehr in der Natur, wo sich die Grenzen der Ausbeutung der Ressourcen gezeigt haben. Es muss jetzt empfindlich beobachtet werden, was die Natur noch erträgt und was nicht mehr, d.h. in dialogische Beziehung tre­ten.

2. Wie die Kunst die klassische Schönheit überschritten hat in der Malerei, in der Musik und in anderen Künsten, so hat Es­peranto die Schönheit der klassischen Sprachen überschritten. Blieb nur das wesentlich wichtige von der Sprache: die Aus­drucks- und Verständigungsfähigkeit. Die idealistisch klassi­sche Schönheit hat sich in den relativen Hintergrund zurück­gezogen.

Sich auszudrücken und den anderen verstehen ist die grund­sätzliche Aufgabe jeder Sprache. Auf diesen Grund legen sich später die Gewohnheiten, welche dann Idiotismen und Idiotien produzieren. Die subjektiven Gewohnheiten wieder verwen­det, bekommen in der Literatur Tradition und entstehen die klassisch-belletristischen Werke.

Bedauerlicherweise laufen die Esperantisten diesen klassi­schen Werten nach, und gleichzeitig vergessen ihre eigene wichtigste Eigenschaft, welche sich in ihrer Dialogizität mani­festiert. Aber die Kunst hat schon vor einigen Jahrhunderten generell die Klassik überwunden, was auch in der Gegenwart noch immer dauert. Und Esperanto trägt in sich die Tradition dieser Überwindung mit.

Esperanto entstand in der geistigen Wende des Idealismus zur realen Notwendigkeit der aktuellen Verständigung, in einer Situation, als sich die Unzulänglichkeit der klassischen Spra­chen gezeigt hat. Nicht im Gegensatz zu diesen, sondern in helfender Koordinierung ihrer Elemente, zum klareren und unmittelbar verständigeren neuen System.

Es ist verständlich, dass die klassischen Sprachen sprechende, nicht akzeptieren konnten und wollten, diese allgemeine Evo­lutionsstufe der Verständigung infolge ihres eigenen dialekti­schen Charakters. Weil sie stehen in Konkurrenz nicht nur ei­ner gegen den anderen, wo jeder das Beste sein will, sondern auch gegen Esperanto, welches nicht nur ihre eigene Elemente trägt, sondern auch jene der Gegner.

3. Die klassische Linguistik ist exklusiv dialektisch. Auch der klassische Sprachvergleich hat sich noch von der klassischen Logik nicht befreien können. Sie ordnet und klassifiziert noch die einige Tausend existierenden Sprachen in der Welt. Es fehlt die Qualität der Interlinguistik, welche jede Sprache in ihrer eigenständigen Besonderheit der universalen Verständi­gung betrachtet.

Die Klassik übte Fehlinterpretation mit Esperanto, als unter­schob, dass Esperanto die einzige Universalsprache sein will. Andererseits für dieses Missverständnis sind die Esperantisten selbst nicht wenig verantwortlich, weil in ihrer Geschichte die­sen Fehler nicht deutlich genug zurückgewiesen haben. Sie nennen sogar die Esperanto-Weltorganisation Universala Es­peranto Asocio. Das ist nur ein Beispiel, dass die Esperantisten sich von der Klassik nicht befreiten.

Esperanto ist in dieser Weise mit dem Latein falsch verwech­selt verstanden worden. Latein war seinerzeit als Universal­ Sprache postuliert, mit dem Anspruch des Katholizismus als Religion weltumfassend zu sein. Aber die Geschichte hat eine ganz andere Entwicklung gezeigt. Das Latein selbst zerfiel in verschiedene romanische Volkssprachen. Im Gegenteil, Espe­ranto ist aus den klassischen Volkssprachen geschaffen wor­den, und möchte die in der Geschichte entstandenen Gegen­sätze auflösen.

Infolge des universalen Einflusses des Lateins übernahmen die einfachen Volkssprachen die grammatische Struktur des La­teins, und klassifizierten sich als klassische Sprachen – mit dem Resultat von ihren klassisch-dialektischen Gegensätzen. Das fing an in Renaissance, d.h. vor 5-7 hundert Jahren.

Die späteren Folgen kennen wir schon gut aus der Geschichte. In den 18-20 Jahrhunderten entwickelte sich diese Differenzie­rung, bis in die jetzige Zeit, in Chauvinismus und Nationalis­mus. Und es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass dieser Zustand in Europa, mit weltweiten Folgen, zwei grausame Kriege ausgelöst hat.

4. Wenn diese Charakterzüge der Klassik bewusst und konse­quent durchgedacht werden, dann eröffnet sich die Möglich­keit, auch für Esperanto die eigenen Eigenschaften zu verste­hen, und sich von der unterdrückenden Macht der Klassik in der Geschichte zu befreien. Das heißt, um Kraft zu bekom­men, muss Esperanto selbst die Geschichte nutzen, wo seine Befreiung schon lange genug angefangen hat. Weil Esperanto selbst das Resultat dieser Befreiung ist.

Aber die Reaktion der Klassik blieb bis in die heutigen Tage sehr stark. Um die Eigenschaften von Esperanto richtig zu ver­stehen, muss es deshalb gemeinsam mit der Entwicklungsge­schichte der Gesellschaft expliziert verstanden werden, wo sich die Gemeinsamkeiten und Beziehungen manifestieren können. Esperanto war nie nur eine isolierte Bewegung, son­ders immer befand sich auf der Seite der Bemühungen für eine gerechtere, bessere Welt.

Gegenwärtig zeigt sich allgemein die Notwendigkeit der Wende zum neuen Denken. Das, was sich lange Zeit in der Geschichte entwickelt hat, ist unvermeidbar geworden für die Weiterexistenz der Menschheit auf der Erde. Nicht nur in der Gesellschaft wurde das neue dialogische Verhältnis notwendig geworden, sondern auch in der Beziehung zur Natur.

Die Wissenschaft ist nun fähig die Bedrohung des Lebens vo­rauszusehen, wenn weiterhin die klassisch dialektischen Prin­zipien bestimmend bleiben, und auch die Tugenden, wie z.B. Überzeugung, Stolz, Heldenhaftigkeit, Siegen, Beherrschen, Unterdrücken usw., welche dann zur klassischen Tragödie füh­ren. Die sind schon seit den alten Griechen bekannt, aber nur nicht lange haben wir erkannt, dass wir sie nicht mehr leicht beherrschen können und die Sache ernst wird, so wie Wahl zwischen Leben und Tod.

5. Es ist besonders interessant geworden, dass obwohl Espe­ranto und das dialogische Denken viele Gemeinsamkeiten ha­ben, sie sich fast gleichzeitig entstanden und entwickelten, fand ich aber bis jetzt nirgendwo konkrete Hinweise zueinan­der. Im Allgemeinen beide entstanden in der geistigen Atmo­sphäre der Friedensbewegungen, in der Zeit mit einem extre­men Nationalismus, wobei sie keine besondere Beachtung fin­den konnten. Im Gegenteil, in die damalig militant hysterische Zeit ähnliche Denkweisen und Bewegungen wurden verfolgt, und ihre Aktivisten eingesperrt. (Es wäre eine interessante wissenschaftliche Arbeit diese geistige Ähnlichkeit zu unter­suchen.)

Die Philosophie des neuen dialogischen Denkens entstand nach dem bewussten Ende des Klassizismus und vor allem nach deren dialektischen Moral, als das Gute gegen das Un­gute nicht eindeutig definiert werden konnte. Weil ja offen­kundig ist, dass jeder Gegensatz auch die andere Seite durch­dringt. Der Wille eine Seite gegenüber der anderen individuell zu definieren, führte zu den schon gekannten historischen Ka­tastrophen.

In der Wirklichkeit hat die einseitig idealistische Überzeugung über die Wahrheit nicht mehr ihre Gültigkeit. Die Realität hat ein ganz anderes Ergebnis gezeigt, als von den klassischen Idealen und Ideologien vorausgesehen wurde. Gezeigt hat sich die reale Notwendigkeit der beiderseitigen Betrachtung, d.h. beiderseitige Lösungen dialogisch suchen und finden für unser Weiterexistieren. Dies wurde gefährdet an der Kulmination des Idealismus (infolge des Glaubens an die einseitige Idiotie, welche sich z.Z. konkret im Terrorismus manifestiert).

Oft muss ich mich auch zurzeit über die Einseitigkeit der Wis­senschaft und der geistigen-kulturellen Errungenschaften wundern. Wie oft bleiben sie isoliert im eigenen Wissen, ohne Beziehung zu den anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche gemeinsam eine Möglichkeit für die allgemeine Wei­terentwicklung geben. Selbstverständlich, dieses Nichtwissen ist vervielfacht durch das Nichtkennen von anderen Sprachen, d.h. durch das Fehlen einer gemeinsam akzeptierten, demo­kratisch internationalen Sprache.

6. Eine der konkreten Folgen dieser gegensätzlichen Differen­zierung zeigt sich in der klassischen Linguistik. Auf Universi­tätsniveau ist einerseits die Beschäftigung mit den sogenann­ten natürlichen Sprachen, auf der anderen Seite sind die kon­struierten Plansprachen verwiesen. Die Forschungen sind nicht fähig, diese klassische Barriere zu überwinden.

Einerseits gräbt die klassisch universitäre Forschung in der Tiefe und will die ursprüngliche Natürlichkeit der Sprachen beweisen, welche auch hierarchisch nach der klassischen Lo­gik eingeordnet werden sollen. Aber gerade auf die letzte wis­senschaftliche Frage haben sie keine Antwort und verlieren sich wieder in der Mythologie.

Anderseits stehen für das klassische Denken die konstruierten Sprachen etwas beiseite und es beschäftigt sich nur vorüber­gehend über sie, so wie über etwas Unsinniges in der Ge­schichte (welche allerdings über zweitausend Versuche aus­machen). Von diesen ragen einige heraus, die auch eine kleine soziale Sprachgemeinschaft aufweisen können. Z.B. Volapük und Ido. Hoch steht Esperanto, diese künstlerisch konstruierte internationale Sprache, aus dieser Reihe hinaus.

Die klassische Linguistik fing sich nach der offenkundigen Notwendigkeit des Sprachvergleichs auch etwas mit dieser Sprache zu beschäftigen. Währenddessen erschien für die Lin­guistik eine nicht erwartete Überraschung, die sie nicht so recht in ihr eigenes System einordnen, verdauen und verstehen kann.

Beeinflusst von der realen Entwicklung, das hierarchische System der klassischen Sprachen zerfiel. Blieb ein dialekti­scher Kampf ohne wissenschaftlichen Grund, auf einem blo­ßen mythologischen Fundament. Wobei verschiedene Natio­nalsprachen internationalen Einfluss gewinnen wollten. Aber auch diese dialektische Überzeugungskunst hat sich nach dem weltweiten Sieg des Englisch als nutzlos erwiesen, nachdem jeder Kampf in diesem System sinnlos geworden ist.

7. In dieser Situation bekommt die künstlerisch konstruierte Sprache Esperanto eine ganz andere Bedeutung als ihr von der klassischen Linguistik zugeschrieben wurde. Zuerst wurde die Natürlichkeit der Sprachen grundsätzlich bezweifelt. Was z.B. in der Philosophie schon immer skeptisch betrachtet wurde, weil Philosophie schon immer Natur und Geist verschieden verstanden hat. Die Sprache wurde vor allem als geistig-sozi­ales Phänomen betrachtet und verstanden worden.

Nach den neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, als die Eine-Substanz-Idee des Atomismus mit Beweisen falsifi­ziert wurde, entstand eine ganz andere Verständigungsmög­lichkeit auch für die Natur. An der Kulmination des klassi­schen Denkens hat sich in der Philosophie das Ende von die­sem monosubstantiellen Idealismus gezeigt. Diese Erkenntnis wurde zuerst in den Sozialwissenschaften angewendet. Unter diesen neuen Umständen wurden auch die Sprachen ganz an­ders verstanden als unter der ehemaliger Klassik.

Faktisch die Klassik wurde überwunden in den Naturwissen­schaften, in der Philosophie und auch in den sozialen Erfah­rungen der zuletzt nahen Geschichte. In diese Situation er­schien für Esperanto eine völlig neue Verständigungsmöglich­keit, befreit von der Unterdrückung in der vergangenen Ge­schichte.

Folglich, Esperanto ist als eine künstlerisch konstruierte Spra­che nicht weniger wert als die klassischen Sprachen, sondern hat mehr Wert, weil mehr entwickelt ist als die Nationalspra­chen.

Wenn wir die Überwindung der Klassik bei der Kunst anfan­gen zu verstehen, so können wir sagen, dass sie war die erste, welche die ersten Überschreitungen schon vor einigen Hundert Jahren gemacht hat, als diese Alternative für das Denken und das Bewusstsein noch überhaupt nicht fassbar erschien. Schon damals zeigten sich die Kunst und die Künstlichkeit als eine höhere geistige Beschäftigung, als nur in klassischen Regeln eingeschlossen funktionierende Welt der Vergangenheit.

Hier befindet sich Esperanto in einer sehr guten Sozialgemein­schaft. Und die sog. Nichtnatürlichkeit von Esperanto er­scheint im ganz anderen Licht. Weil auch die sog. natürlichen Nationalsprachen sind nicht rein natürlich, sondern haben sie selbst vom Anfang ihrer Klassizität als einfache Volksspra­chen ihr System und ihre Grammatik vom Latein übernom­men.

Trotzdem möchte sich Esperanto in diesem Fall nicht über die Nationalsprachen heben, weil es seinen Herkunft von diesen bekennt, aber nicht in einer exklusiven Weise, sondern dialo­gisch, in zusammengesetzter Entwicklung deren Elemente zu einem neuen Status, ohne überflüssigen, international nicht verständlichen Idiotismen und Idiotien.

8. In der Kunst ist in vielen Werken die Überschreitung der Klassik beispielhaft erkennbar, auch schon vor einigen hundert Jahren. So in der Gegenwart kein Künstler würde klassische Werke mehr schaffen, es sei in der Schule, um zu lernen und gründlich die Eigenschaften der Klassik studieren. Weil ver­stehen die Überwindung von etwas ist nur dann möglich, wenn man es kennt und hinterlässt das, was zu überwinden ist.

Dafür brauchen wir die Geschichte. Zu ihrem Verstehen ge­hört das Verstehen der zurückgelassenen Ereignisse und Werke in ihrer eigenen Zeit und Entwicklung. Nach dem Ver­such der Überschreitung der klassischen Gesellschaft in Frank­reich, fing in Paris die Dauer der Entwicklung in der Kunst an. Es entstanden einige entscheidende Versuche in der Malerei. In der Architektur dauerte die Klassik noch ohne Entwicklung, besonders bei Herrscher- und staatlichen Palästen, und auch bei Parlamentsgebäuden, wo die klassische Macht präsentiert werden sollte.

Auch in den USA sind noch die Regierungspaläste mit klassi­schen Säulen ornamentiert als Symbole der Macht und Potenz. Aber in New York entstanden auch schon gleichzeitig mo­derne, wirklich kraftvolle Konstruktionen. In den europäischen Hauptstädten sind in dieser Zeit noch weiterhin klassische Monumente konstruiert wurden, welche zurzeit nur touristisch als museale Sehenswürdigkeiten funktionieren. Dialektisch, nach außen demonstrieren sie Macht, aber innen keine reale Macht mehr.

Nach den europäischen Kulissen geschah bedeutende Ent­wicklung in der Musikkunst. Große Werke entstanden, welche befreit die Klassik überschritten. Nur um ein dialogisches Bei­spiel in der Musik zu nennen: „Carmina Burana“ von Karl Orf. Die Handlung und die musikalischen Elemente sind aus dem Mittelalter entnommen, bearbeitet; sie betonen wichtige De­tails, um die damalige Zeit zu verstehen und Empfindungen für die jetzigen Ohren zu geben.

Anderes Beispiel ist das Science-Fiction-Film „Avatar“. In diesem Werk ist die Überwindung der klassischen Dialektik künstlerisch dargestellt. Die Erdbewohner mit ihrer Denk- und Gewohnheitsweise und entwickelte Technik wollen einen an­deren Planeten erobern, ihre Bewohner beherrschen, die aber moralisch und technisch viel entwickelter sind als sie selbst. Die Antwort auf das aggressive Verhalten der Erdbewohner ist nur ein gewaltlos dialogisches Bedauern.

9. Esperanto gehört in diese geistige Sphäre der Überschrei­tung der Klassik, sehr ähnlich der Kunst. In diesem Sinne ist die treffendste Bezeichnung: künstlerisch konstruierte Spra­che. In der Zusammenfassung von diesen zwei Wörtern ist be­nannt der entsprechende Charakter dieser Sprache. Es ist of­fensichtlich, dass sie keine bloße Plansprache oder nur kon­struierte Sprache ist, sondern etwas wertvolleres, was sich in die Nähe der künstlerischen Freiheit hebt, und an die leben­dige Realität gebunden ist. Zamenhof spricht immer nur von künstlerisch gemachter internationaler Sprache (arte-farita lingvo).

Esperanto ist auch nicht irgendwelche, zum klassischen Idea­lismus gehörende Idee, Ideal, oder Ideologie, welche zu der Zeit herrschten, als es entstand und nicht richtig verstanden wurde. Die meisten von diesen genialen Ideen sind Vergan­genheit geworden. Esperanto blieb bis jetzt und entwickelt sich weiter, auch nach 130 Jahren. Seine Elemente entstanden aus den lebendigen Sprachen und seine Basis stammt aus der lebendigen Realität, mit Neuordnung der dialektischen Gegen­sätze in eine dialogische Gemeinsamkeit.

Esperanto ist die reale Manifestation des neuen dialogischen Denkens. Nicht nur irgendwelche Sprache, sondern das adä­quate Ausdrucksmittel des gegenwärtig notwendigen dialogi­schen Denkens. In der Zeit, als das klassisch dialektische Den­ken in Gegensätzen die Menschheit an das Rand der Katastro­phe gedrückt hat.

10. Zurzeit hört man viel über das Dialog. Jeder der nicht den anderen mit Gewalt überzeugen will, möchte ein Dialog füh­ren. Aber den anderen dialogisch zu verstehen, ist es notwen­dig, sich in die Lage des anderen einfühlen. Deswegen braucht die dialogische Fähigkeit auch das Wissen, ja oft auch das Ein­fühlen in die andere Seite, mit der wir dialogisieren wollen.

Es genügt nicht nur die Überzeugung über die eigene Wahrheit und die beste Strategie zu suchen, um diese durchkämpfen. Diese Weise funktioniert nur dann, wenn die andere Seite viel schwächer ist als wir. Diese Methode konnte nur noch in der Vergangenheit wirksam verwendet werden, als es noch mög­lich war mit dialektischer Gewalt die klassische Hierarchie durchzusetzen.

In der jetzigen Zeit aber, nach einigen sozialen Revolutionen und Entwicklungen ist die Hierarchie der klassischen Logik nicht mehr ohne weiteres zu akzeptieren. Nach dem Erschei­nen von verschiedenen Großmächten, welche nicht mehr ein­ander zwingen können, hat sich auch das allgemeine Prestige der vorherig klassischen Verhältnisse verändert. Blieb die di­alogische Bemühung, den anderen zu verstehen und für beide akzeptable Lösungen der Probleme zu finden.

Dialogisches Denken und Esperanto komplettieren einander. Esperanto ist die am meisten konkrete Verwendung dieses Denkens. In der Philosophie kommt im Allgemeinen oft vor, dass auch weise Ideen nur Theorien bleiben, das Bedenken von neuen Möglichkeiten ohne konkrete Anwendung.

Dialogisches Denken geschieht anwendbar und nutzbar im Es­peranto. Nicht nur deshalb, weil Esperanto selbst nach dialogi­schen Prinzipien entstand. Es ist geschaffen worden für dialo­gische Inter-Verständigung im inter-nationalen Bereich, wo das Fehlen der konkret unmittelbaren Sprachverständigung ge­zeigt hat.

Und auch nur das alleine reicht nicht, weil entscheidend ist auch die Dialogizität der Verständigungsfähigkeit. Hier wurde die klassisch-dialektische Überzeugungskunst überschritten mit der Kunst der dialogisch reziproken Verständigungsweise. Und so wie nicht genügt nur dialogisch zu denken, sogleich reicht auch noch nicht nur zu dialogisieren, ohne dialogisch zu denken.



Erklärung einiger Grundbegriffe

Überschreiten: ist eine anthropomorph ausgedrückte Ent­wicklungsweise, wobei die dialogische Differenz zum Begriff der Überwindung betont werden soll, welche auch dialektisch verwendet wird. Hier sollte es bedeuten: erkenntlich-lernend weitergehen zur folgenden Evolutionsstufe; nicht bleibend drauftreten, oder zerstören (etwa wie die Klassik), um das Neue zu erreichen, sondern bewahrend-lernend zur nächsten Stufe der Erkenntnis gehen.

Dialogisch bedeutet: verstehend einander mit Akzeptanz und Entwicklung weitergehen.

Klassik ist eine zeitabhängige geistige Hochqualität, welche sich in der Geschichte verändert. Unterdrückung der Evoluti­onszeit verursacht revolutionäre Zerstörung.

Esperanto ist eine künstlerisch-konstruierte internationale Sprache, welche die klassischen Nationalsprachen dialogisch überschritten hat. Einige klassische Machthaber wollen ihr Er­folg verhindern.







[1] Von Heidegger gebrauchter Begriff.