Ist von „Kunst" die Rede, stellt sich Unbehagen ein. Zu sehr ist der Begriff mit den alteuropäischen Programmen des Historismus verschwistert. Ein schaler Beigeschmack von Eurozentrismus vergällt den kennerhaften Gebrauch.

„Künstler" zu sein haftet der schlechte Geruch an, sich namens Autorschaft und kraft Schöpfungsakt weiter ungebrochen zum Apologeten einer totgesagten Subjekt- und Ursprungsphilosophie zu machen.

Ausgestellte „Kunstwerke" neueren Datums bemühen sich dem Zugriff, nicht selten sogar dem Blick entzogen zu bleiben. Von wo aus man es auch betrachtet: Am krampfhaft ephemeren Erscheinungsbild des zeitgenössischen Kunstgeschehens kann man nicht vorbei schauen. Ernstzunehmende Kunst trägt das unverzichtbar gewordene Dementi des Werkcharakters demonstrativ mit sich, praktiziert die Auflösung des Auratischen im Diffusen. Alles, was nur den Anschein eines zentralperspektivisch zugerichteten Blickes verrät, verdreht dem aufgeklärten Betrachter die Augen.

Auch wenn sich die weissen Würfel zusehends in zufällige Volumina auflösen: Nur die Ausstellungsorte markieren noch wirklich die Differenz zwischen Welt und Kunst, indem sie zur Schau stellen, indem sie sehen lassen, was in und was out ist. So heben sich im aktuellen Begriff der Kunst die Grenzen zwischen Werk, Rahmen und Galerie auf. Der Betrachter glotzt auf die Beschreibung.

Jene, die kaum noch "Künstler" heißen, nur zu gerne aber genau das sein wollen, haben das Kunstwollen, die eigene Praxis einschließlich ihrer Kontexte auseinandergenommen und neu arrangiert.

Ihr Diskurs, der künstlerische, erfindet sich neu, indem er sich Praktiken, Techniken und Einsichten anderer Disziplinen öffnet: wissenschaftliche, journalistische, militärische, therapeutische u. a. Strategien bestimmen die künstlerische Praxis. Werke weichen Projekten. Die dergestalt erweiterte Palette künstlerischer Techniken hat den Kanon der schönen Künste ersetzt, sie dient der Produktion von Wissen und Erfahrung nicht des schönen Scheins. Wer sich Kunstfertig zeigt, bewegt sich mit Leichtigkeit querfeldein durch die Sphären des Erhabenen, des Populären und des Fremden. Auffällig Viele tummeln sich an den Rändern, entlang der Grenzen der überkommen Disziplinen, Institutionen. Die Seiten werden dabei gewechselt; mehr als einmal, ständig.

Was sich an der Migration der Betriebssysteme im Kunstzirkus beobachten lässt ist, wie Denkfiguren der Auflösung, der Erschütterung, der Infragestellung, der Entgrenzung und Verschiebung hinter der Oberfläche wirken. Oder anders gesagt: eine Neubestimmung der Grenzen des Denkens markieren, die sich am derzeitigen Bild des Kunstbetriebes unmittelbar ablesen lässt.

Wichtigste Vorraussetzung für solche Beweglichkeit ist die Entfremdung vom Eigenen. Ein Arbeitsmodus der seine Entsprechung in einer Lebensweise findet, die heute oft biografisch vorgegeben ist oder aber leicht und bewusst (auf-)gesucht werden kann. Eine Form der „Ver-Rücktheit" die ihren Ausnahmestatus angesichts der Tatsache verliert, dass ein Migrationshintergrund sich zunehmend als biografischer Normalfall darstellt.

Displaced Persons bevölkern die Vernissagen – auf Seiten der Künstler, wie auf Seiten der Betrachter. Displacement wird zu einer selbstverständlichen Herangehensweise sich seinem Gegenstand zu Nähern, so wie ein Jahrhundert früher, die Maler des ‚Plein Air‘ aus dem Ateliers in die freie Natur stürmten. Auch der zeitgemäße Künstler ist ‚im Feld‘ unterwegs, nicht als Naturfreund sondern als Ethnograph, recherchierend, "undercover„, „teilnehmend" observiert er, beobachtet Beobachtungen und vollzieht Interventionen im Alltag, in Milieus, in den Systemen. Nicht ins rechte Licht gesetzt sondern durchleuchtet wird so unsere Wahrnehmung.