Es macht wenig Sinn, selbst etwas über Google+ zu schreiben, denn das Netz ist voll von guten Artikeln darüber. Besonders hinweisen möchte ich auf Google+ Spagat: Follower-Modell & reale Namen. Dort wird thematisiert, was mich am meisten an Google+ stört: Das Follower-Modell (wie bei Twitter) mit Realnamen (wie bei Facebook).

Facebook entstand ja als Menge von getrennten Subnetzwerken, insbesondere an Hochschulen. Dort kannte schon jeder jeden vom sehen, und über die Facebooks wurde die Vernetzung auf Realnamenbasis in die jeweils abgeschotteten Onlinebereiche ausgedehnt. Zugang hatte man nur mit E-Mail-Adressen in der jeweiligen Uni-Domäne, und Verbindungen mussten zusätzlich auch noch von Anfang an von beiden Kontakten bestätigt werden. So traten sehr schnell fast alle an den Hochschulen bei, und Privatsphäre war kein Thema.

Heute sind alle ehemaligen Subnetze zu einem verbunden, und man kann sich auch ohne Subnetzzugang zu Facebook anmelden. Zum Zeitpunkt der Zusammenführung existierten aber bereits so viele Realnamen-Accounts, dass Facebook sich auch zum Wiederfinden alter Realkontakte eignete. So konnte sich die Realnamen-Kultur bei Facebook auch weiter durchsetzen und besteht noch heute, wo Like-Buttons das gesamte Web auch jenseits von Facebook durchseuchen. Klickt man auf "gefällt mir", so hinterlegt man Namen und Gesicht an dieser Stelle. Selbst bei Leuten, die nicht bei Facebook angemeldet sind, wird mit deren Bekannten für Facebook geworben (was geht, weil Facebook über diese Buttons so viel Daten sammelt, dass es quasi alle Internetnutzer kennt). Und so melden sich immer mehr an -- auch mit ihrem Realnamen. Auch schon deshalb, weil ihnen sonst fast sämtliche Inhalte verborgen und die Partizipation versagt bleibt.

Twitter kommt aus einer ganz anderen Ecke. Es war von Anfang an global und ohne gegenseitige Kontakt-Bestätigung. Man publizierte (in der Regel anonym) ins komplett Öffentliche und stalke völlig unabhängig davon (entsprechend auch anonym) anderen hinterher. Selbst wenn im Profil dann doch ein Realname steht, so ist die Identifikation trotzdem nahezu immer ein Pseudonym. Gäbe es nur Realnamen als Identifikation, wäre Twitter in seiner heutigen Größe undenkbar. Es lebt vom publizieren und stalken, also 1. von der völligen Öffentlichkeit und 2. von der Anonymität des ersten Blicks -- und nicht von der persönlichen sozialen Vernetzung.

Google+ versucht nun genau dieses Twitter, aber eben mit Realnamen. Google wurde groß mit persönlichen Online-Tools wie Kalender, Online-Office, Webseiten-Feed-Reader, Such-Alerts, Bookmarks, usw., die man für sich alleine benutzte, sowie mit privaten Korrespondenz-Tools wie GMail, für die man Realnamen verwendete. Google investierte in Kollaborationstools (wie Wave) und kommt auch sicher bald mit Whiteboards und Screencasts. Es drängt also auch ins Berufliche und in Vereine, d.h. es basiert auch bei Google alles auf Realnamen -- nur eben bisher ohne Netz. Jetzt stülpt Google ein Netz über die Tools, aber eben nicht nach dem Facebook-Prinzip, sondern nach dem von Twitter.

Mir gefällt das nicht.

Wie bei Twitter kann man Leuten folgen, und man kann sehen, wer einem folgt -- ohne dass das gekoppelt wäre. Wie bei Twitter kann man sich auch nicht übersichtlich anzeigen lassen, bei wem von den Verfolgten man nicht in einem Kreis ist. Bei beiden Netzen soll man ausdrücklich nicht das Gegenseitige anstreben, sondern unabhängig voneinander publizieren und stalken. Nur eben mit Realnamen.

Ich finde das blöd.

Alle Leute, die mich in einen ihrer Kreise packen, ordne ich auch einem meiner Kreise zu, strebe also konsequent das Gegenseitige an. Und aktiv packe ich nur Leute in meine Kreise, die ich persönlich kenne. Fremden folge ich somit nicht, wenn sie mir nicht selbst schon folgen. Damit fehlen mir bei Google+ aber zwei wichtige Features von Facebook: Die Freundschaftsverweigerung (für Leute, die ich nicht kenne) und das Autoverbergen (für Freunde, für die ich mich nicht interessiere).

Kurzum: Wollte ich interessante Streams, müsste ich in Google+ (wie bei Twitter) 1. Freunde entfolgen und 2. Fremden folgen. Damit baute ich aber anders als bei Facebook eben KEIN Realkontaktnetzwerk auf. Das heißt im Umkehrschluss, dass ich bei Google+, das ich wegen der Realnamen als zweites Realkontaktnetzwerk verwenden möchte, keine interessanten Stream haben kann! Warum aber sollte ich dann darin aktiv werden?

Außerdem erschließt sich mir bei Google+ nicht, wie man denn sieht, was man zuletzt gemacht hat. Also wo ist das Aktivitätenprotokoll? Wen habe ich zuletzt zu einem Kreis hinzugefügt? Wo habe ich zuletzt kommentiert? Welchen Kommentar habe ich zuletzt ge-+1-t? Bei Facebook hat jeder Kontakt diese Ereignisse in seiner Timeline, und man selbst sie auf seiner Wall. Bei Google+ findet man den Kram nicht einmal selber wieder. Wie soll man da an seiner seiner Vernetzung arbeiten? Antwort: Man soll nicht.

Fazit: Google+ hat nichts von Facebook -- außer den Realnamen. Aber alles von Twitter -- und das passt nicht zu Realnamen. Damit kann ich mit Google+ nichts anfangen.