In der BZ vom 08.01.2022 macht Alexander Zinn einen "Zwischenruf" (hier zu finden).
Ich erlaube mir dazu einige Anmerkungen.

Zinn stellt bei den gegen Corona geimpften Personen (Berliner, Deutsche, Europäer, Weltbevölkerung - eine nähere Spezifizierung unterbleibt leider) eine Kognitive Dissonanz fest. Er beschreibt zunächst einen nicht stattgefundenen Weltuntergang im Jahr 1954, der für den Psychologen Festinger der Anlaß war, das Konzept der Kognitiven Dissonanz zu entwickeln.
Kurz gesagt geht es in diesem Fall darum, reale Ereignisse so umzudeuten, daß sie mit den (inneren) Einstellungen der Dissonanz empfindenden Personen wieder übereinstimmen.

Zinn versucht dann herzuleiten, daß Geimpfte Dissonanz empfinden (müssen? oder doch nur können? Alle oder nur manche? Auch dazu äußert er sich nicht näher), da die Impfung die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt habe. Um diese Erwartungen möglichst leuchtend darzustellen, herosisiert er zunächst die Impfung und die Geimpften. Dazu bezeichnet er die Impfstoffe und die Impfung als risikoreich, nur kurz erprobt, ohne die langjährigen Zulassungsstudien durchlaufen zu haben, mit unzureichenden Kenntnissen über Neben- und Langzeitwirkungen..... die Geimpften seien Versuchskaninchen gewesen, die aber heldenhaft für die Herdenimmunität und die Freiheit (hatten wir die nicht erst kürzlich?) die Risiken auf sich nahmen.

Im nächsten Schritt attestiert Zinn der Impfung nahezu Sinnlosigkeit - keine Herdenimmunität, Impfdurchbrüche, möglicher Rückgang der Schutzwirkung mit der Zeit, ein vermeintlicher Rückgang auch der Schutzwirkung gegen schwere Verläufe mit der Zeit und last (aber im weiteren Verlauf erkennbar ganz bestimmt nicht least) " die Verdachtsmeldungen von schwerwiegenden Nebenwirkungen und Todesfällen [liegen] um ein vielfaches höher [...] als bei anderen Impfstoffen."

Hier sei mir ein kleiner Einschub gestattet, mit den vorgenannten Argumenten bewegt sich Zinn nämlich außerhalb des (natur)wissenschaftlichen Konsenses:
Zur Effektivität der Impfstoffe gibt es zahlreiche Studien, die ausnahmslos eine Wirkung belegen, ich verzichte an dieser Stelle auf eine mit Belegen versehene Auflistung.
Auch das Argument der kurzfristigen Zulassungsstudien und der fehlenden Langzeitstudien ist nur ein Scheinargument. Die Zulassungsstudien für die COVID-Impfstoffe fanden mit sehr vielen Testpersonen statt - innerhalb weniger Monate wurde damit eine Datenbasis erreicht, die andere Impfstoffstudien erst nach Jahren erreichen - nicht zuletzt aufgrund der Omnipräsenz von SARS-CoV 2. Das von Zinn unterstellte Risiko besteht in der Form nicht.
Dazu ein interessanter Artikel von Petra Falb.
Bei der Warnung vor den Nebenwirkungen nennt Zinn nur Verdachtsmeldungen, die höher lägen als bei jedem anderen Impfstoff. Nunja, innerhalb eines guten Jahres wurden in allein in Deutschland über 100 Mio Impfdosen verabreicht, also ein vielfaches der weiteren Impfungen dieses Zeitraumes. Eine "Verdachtsmeldung" kann jeder über das Internet eintragen - unabhängig von den tatsächlichen Symptomen und Kausalitäten. In Anbetracht der emotionalen Diskussion, der Neuartigkeit der Impfstoffe und der Anzahl der Impfungen wäre alles andere als eine Vielzahl von Verdachtsmeldungen eine Überraschung. Weder die Schwere der Symptome noch deren Ursache vermag eine Verdachtsmeldung jedoch zu nennen.
Ganz nebenbei übergeht Zinn auch noch, daß ein
Großteil des Infektionsgeschehens zwischen Ungeimpften stattfindet.

Bei der Bewertung der naturwisschenschaftlichen Fakten muss sich Zinn den Vorwurf gefallen lassen, unwissenschaftlich und selektiv zu arbeiten.


Aus der Heroisierung der Impflinge und der angeblichen Wirkungslosigkeit der Impfung konsruiert Zinn dann eine Kognitive Dissonanz der Geimpften. Grundlage für seine Herleitung scheint Evidenzempfinden zu sein - Verweise zu entsprechenden Untersuchungen bleibt er dem Leser schuldig.

Nachdem eine Kognitive Dissonanz anscheinend zu wenig Grundlage für eine Veröffentlichung bietet, führt er auch gleich noch eine Projektion ein - die Geimpften übertragen ihren Ärger auf die Ungeimpften, um sich wieder gut zu fühlen.

Quelle für diese Erkenntnis ist - ja was eigentlich, da hat er dummerweise schon wieder keine Quelle, außer einem "Ich aber sage euch".

Weiter im Text äußert er sich zur Impfpflicht (auf die ich hier nicht eingehen will) und erkennt darin einen Verstoß gegen den Nürnberger Kodex. Grund sei, dass die Impfstoffe nicht "regulär" zugelassen seien, sondern experimentellen Charakter hätten. Das ist sachlich falsch. Die Impfstoffe haben eine bedingte Zulassung. Das allerdings ist eine "normale" Zulassung, die im Arzneimittelrecht so vorgesehen ist und keineswegs ein ungenehmigter Massenversuch. Auch beim MDR findet man weitere Erläuterungen zur bedingten Zulassung.
Der Verweis auf den Nürnberger Kodex ist also nicht nur ein schweres (wenngleich schlecht justiertes) Geschütz, sondern einfach falsch und als ein ganz bezeichnendes Framing zu sehen. Unweigerlich ruft Zinn mir damit Jana aus Kassel in Erinnerung......

Insgesamt macht Zinns Essay den Eindruck von wenig facts, viel Meinung und gefühlter Wahrheit im wissenschaftlichen Gewand, garniert mit ein bisschen Framing. Moment, da gibts doch einen terminus technicus: Schwurbeln.

Argumentativ durchaus schlau greift Zinn mir da vor, indem er behauptet, daß jeder Kritiker gleich als Schwurbler bezeichnet werden würde....
Nein Herr Zinn, nicht jeder! Nur die, die es halt tun.

Zum Schluß sei noch angemerkt, daß Zinn nach eigenen Angaben seit der Impfung an neurologischen Problemen leidet. Na gut, er hat die "anekdotische Evidenz" eingeführt, dann gehe ich darauf ein. Nicht mit rabulistischem Sarkasmus, ich wünsche ihm aufrichtig Genesung und alles Gute! Die Frage sei allerdings gestattet, ob nicht vielleicht Zinn mit seinem Text an einer Dissonanz arbeitet.