Das Hotel „U Zlaténo Stromu “ (Zum Goldenen Baum) hat die Adresse Karlova 6 – es liegt also am Anfang der Prager Drosselgasse (wer die Drosselgasse nicht kennt: Das ist der Urtyp der touristisch geprägten Neppmeile, wo man Souvenirs der Sorte Brauchtkeinmensch zu überhöhten Preisen bekommt und meist in den Restaurants mit dem Firmenmotto "Schlechtes muss nicht preiswert sein!" davon schwärmt, wie toll im Vergleich der Service in Wartehalle drei des Hauptbahnhofs war). Unser Hotel war jedoch extrem aus der Art geschlagen: Gediegene Atmosphäre, hilfsbereite und freundliche Menschen an der Rezeption. Unsere Koffer wurden aufs Zimmer gebracht, der Safe erklärt – ich habe Luxushotels mit mehr Sternen erlebt, in denen man derlei Selbstverständlichkeiten schon lange aufgegeben hat. Und das alles - zumindest in der Nebensaison - zu einem sehr akzeptablen Preis.

Zum Haus, das aus dem 15. Jahrhundert stammt, gehört ein Restaurant, das untypische Küche anbietet. Also keine Knödel und kein Gulasch. Wir hatten Pizza und hausgemachte Ravioli, beides war gut. Aber am besten war: Wir hatten einen Kellner, der gut drauf war. Die Bedienung in Prag ist nämlich meist männlich, oft mies gelaunt und traditionell altbacken gekleidet: schlecht sitzende schwarze Hose und (wenn man Glück hat: nicht durchgeschwitztes) weißes Hemd. Unser Kellner trug eine gut sitzende schwarze Hose und ein krasses geblümtes blaues Hemd. Außerdem trug er ein verschmitztes Lächeln, und sein tschechisch-gebrochenes Deutsch kam sehr charmant rüber. Vor allem, als wir nach dem Essen einen Blick in die üppige Cocktail-Karte werfen und natürlich fündig werden, freut er sich: „Ich värstäähe!“

Die Lage des Hotels direkt an der Karlsbrücke ist genial: Da muss man als Erstes rauf. Die etwa 500 Meter lange Brücke ist eine der ältesten Steinbrücken Europas - am 9. Juli 1357 war Grundsteinlegung. Das wissen wir so genau, weil Karl IV. den Grundstein selber legte und es mit der Zahlenmystik hatte: Aus Jahr (1357), Tag (9), Monat (7) und Stunde (5:31) lässt sich eine bedeutungsschwangere symmetrische Reihe ungerader Zahlen bilden (135797531). 1393 war die Brücke schon soweit fertig, dass der heilige Johann von Nepomuk von der Brücke hinab in den Fluss geworfen werden konnte, weswegen eine der 30 Statuen an der Brücke seit 1683 eben jenen Nepomuk darstellt.

Derzeit wird die Brücke grundlegend saniert, zur Hälfte ist sie eingerüstet. Sowas kostet Geld, und da verwundert es nicht, wenn man - ist ja schließlich eine alte Brücke - sich alter Methoden erinnert und über die Einführung eines Brückenzolls nachdenkt. Eine abwegige Idee? Keineswegs: Die Kreuzherren mit dem Roten Stern, seinerzeit für den Schutz der Brücke zuständig, haben sich auch so finanziert. Und oben auf der Burg versucht man's ja auch schon: die Goldene Gasse kostet bereits Eintritt. Doch noch kostet es nichts, und da verschmerzt man auch die unfotogene Einrüstung. Was ich den Pragern nicht verzeihen konnte, war das fiese Wetter - bitterkalt und gefühlt noch einmal ein paar Grad ekliger. Dabei signalisierte der Online-Wetterbericht unentwegt Sonne! Wir haben sie nicht einmal gesehen – Inversionswetterlage nennt man das meteorologisch vornehm, Scheißwetter könnte man zu der grauen Suppe in der Kälteblase auch sagen. "Im Winter ein häufiges Phänomen in der böhmischen Waschküche!" sagte der Klimatologe Vít Květoň vom Tschechischen Hydrometeorologischen Institu dieser Tage bei Radio Prag. Na danke auch! Die Burg lag also im Dunst am anderen Ufer der Moldau und konnte ihren Charme nur aus der Nähe oder am Abend (bzw. noch besser während er zehnminütigen „Blauen Stunde“) unter künstlicher Bestrahlung ausspielen.

Mangels Fernsicht wandten wir uns also um Richtung Altstadt. Das Gewirr der Gassen dort ist groß – verloren gehen kann man freilich nicht, denn immer wieder stößt man auf Wegweiser zu den Attraktionen der Stadt. Also ohne Plan munter los marschiert und alte Häuser gucken ohne Ende. Manche Ecke hier könnte eins zu eins für Filme übernommen werden, die mittelalterliches Flair ausstrahlen sollen. Eine Geschichte erzählen können die meisten dieser Häuser auch - aber wer durch Prag geht, sollte sich daran schnell gewöhnen, dass hier Geschichte gemacht wurde. Als wir am Abend des zweiten Tages mit Irene und ihrem Freund Vojta unsere planlose Bummelei in Teilen planvoll wiederholten, wusste unsere Prager Freundin auch bei unscheinbaren Häusern immer Spannendes zu erzählen; beim nächsten Besuch im Sommer engagiere ich sie gleich als local guide!

Bei allen Altstadtbummeleien landet man irgendwann am Altstädter Rathaus. Wenn man gut ist, kommt man zufällig kurz vor der vollen Stunde an und gesellt sich zur Menschentraube, die dort bereits die Hälse in Richtung Astronomische Uhr reckt. Ist ja auch zu putzig, wie der Tod, der knochige Gesell, sich da stündlich müht und dann von den Aposteln umgarnt wird.

Der Platz zwischen Altstädter Rathaus und Teyn-Kirche, so lese ich, weise eine größere Besucherdichte als der Markusplatz von Venedig auf. Unsere Bibberkälte sorgte allerding dafür, dass wir nicht im Gedränge standen und uns ruhig umschauen konnten. So hat halt alles auch seine positiven Seiten.