Es ist wieder soweit.
Die Jahreszeit der neonfarbigen Presswürste auf Edelstahl und Gummi.

Jetzt kommen sie wieder alle aus ihren Winterverstecken, die Damen und vor allem Herren im dritten bis fünften Frühling. Keine Straße und kein Weg,kein Pfad und kein Steig ohne zweirädrige Bezwinger..... Hagere, ausgemergelte Gestalten im Kampf gegen Steigung, Insekten und Fußgänger. Mit Geklingel und "Achtung"-Rufen werfen sie sich und ihre Fahrzeuge die Berge hinab und nur in den seltensten Fällen hinauf.

"Walk a mile in my mocassins before you judge me..."
Ich versuche ja gerecht zu sein und eingedenk des inidianischen Sprichworts (das zwar überhaupt nicht indianisch ist, aber es paßt mir grad so schön in meinen Schreibfluß und Sprichwörter sind eh immer gut) versuche ich mich in so einen Naturnutzer hineinzuversetzen.

Und dann stelle ich mir so vor, wie er in seinem Bett liegt und morgens wach wird, das Bewußtsein fällt zurück in den Körper und er (generisches Maskulinum!) beginnt zu denken: "Ich bin ein [...] - und heute leb' ich es aus!"

Danach steigt er (immer noch generisches Maskulinum) aus dem Bett und zwängt sich in ein papageienbuntes Leiberl. Nach einem mehr oder weniger ausgiebigem Frühstück (Kohlehydrate wg. der Leistungsfähigkeit) geht es los. Jetzt müssen wir zwei Fälle unterschieden:

I) Der Sportler stellt seine Fahigkeiten als Gewichtheber unter Beweis und wuchtet/hebt/reißt/stößt sein Sportgerät aufs Auto. Anschließend legt er eine eher mehr als weniger weite Strecke zurück, um endlich seine (erwähnte ich das generische Maskulinum schon?) natur- und umweltfreundliche Betätigung durchzuführen.

II) Der Sportler steuert sein Ziel "auf Achse" an. Er steigt also vor seinem Haus auf sein Velociped und macht sich auf den Weg. Systembedingt liegt das Zwischenziel, das Basislager, in dem die Kollegin (generisches Femininum ;-) aus Fall I) ihren PKW abstellt und das Sportgerät vom Dach- oder Heckgepäckträger holt, in größerer Höhe als der Wohnort des Radlerin (generisches Mischmasch). So kommt es, daß sich unser Freizeitsportler im viel zu großen Gang eine öffentliche Straße hinauf pendelt, torkelt, keucht und quält. An der Grenze seiner physichen Leistungsfähigkeit wird der Sauerstoff knapp. Nicht in der Atmosphäre, aber im Blut. Mit verzerrtem Gesicht und irrem Grinsen (um die Fliegen an den Zähnen abzufangen) saugt er/sie/divers Atemluft ein. Stoffwechsel und Kreislauf sind im Grenzbereich. Alle Ressourcen gehen in die müden Muskeln und ins Herz. Die Sauerstoffversorgung aller übrigen Organe wird zurückgefahren, das Gehirn wird beginnend mit der Großhirnrinde heruntergefahren. Endorphine werden ausgeschüttet. Unser Radler verliert das Schmerzempfinden, sein Gehörsinn wird deaktiviert, der Gesichtssinn wird auf einen schmalen Tunnel eingeschränkt. Wohlwollend könnte man sagen, sie ist ganz bei sich. Von der Umwelt bekommt es gar nix mehr mit - nur noch ein schmales Asphaltband den Berg hinauf......

Das schmale Asphaltband besteht aus zwei Fahrspuren zu je 2,5 m Breite. Ein Überholen ist rotzdem unmöglich - siehe oben, torkeln, pendeln usw....

Macht aber nix. In der Güterabwägung von umweltfreundlichem, behinderndem Bergbezwingen und umweltschädlichem Autofahren ist ganz klar unser Radsprortler (nur der Vollständigkeit halber sei auf das generische Dingsbums verwiesen) der priorisierte Verkehrsteilnehmer. Das Kollege aus Fallbeispiel I) muss halt hinterher trödeln - und dahinter 800 weitere Verkehrsteilnehmer.

ok, endlich geschafft, am Zwischenziel, endlich weg von der Asphaltstraße und ab in die montane Freiheit.

Selbstverständlich benützt unser "Biker" nicht die ausgebauten Forstwege mit 2 m Kronenbreite, sondern die schmalen Pfade der Wanderer. Immerhin ist er/sie/es ökologisch unterwegs. Ganz im Gegenstz zu den losern, die mit dem Auto zum Basislager fahren und dann erst zu Fuß gehen....

Nach aller Erfahrung (das ist jetzt bildlich zu verstehen, der Autor weist jegliche Unterstellung einer nicht motorbetriebenen zweirädrigen Fortbewegung weit von sich) ist im "uphill"-Verkehr kaum mit Kollisionen (überwiegend metaphorisch zu verstehen) zu rechnen.

Aber "downhill"!

Das Gipfelerlebnis raubte unseren Sportsfreunden vollends das kritische Bewußtsein. Der Körper ist an der Leistungsgrenze, alles Trachten, alles Sinnen, alles Tun ist nur mehr auf "runter" gerichtet. Die physische Leistungsfähigkeit liegt mittlerweile weit unter den Erfordernissen. Alle noch verfügbaren Großhirnkapazitäten sind auf das Erkennen der Fahrspur konzentriert. Entgegenkommende Fußgänger werden nicht mehr wahrgenommen. Es gilt nur noch "runter"! ASAP!

Auf den schmalen Steigen müssen sich Wanderer im Begegnungsverkehr schon verdrehen, um ein berührungsfreies Passieren zu ermöglichen. Bei den entgegenkommenden Sportskoryphäen bleibt nur noch, schnell hangbwärts über die Böschung zu hüpfen oder eidechsengleich hangaufwärts über die Böschung zu kriechen....

Einer rationalen Diskussion sind unsere Sportsfreunde nicht zugänglich, aus zwei Gründen. Der eine ist die bereits oben erwähnte, sauerstoffmangelinduzierte Reduktion der Großhirnaktivität.

Der zweite Grund ist das unerschütterliche und tiefsitzende Bewußtsein, "etwas Gutes" für sich und die Umwelt zu tun. Dieser "Heiligen-Attitüde" ist weder mit Vernunft noch guten Worten beizukommen und physische Gealt würde vermutlich als ein Martyrium umgedeutet werden.

Mit anderen Worten: Die Bicyclisten glauben zu wissen, daß sie für sich und die Umwelt Gutes tun.

Aber ich weiß genau: ICH tue für mich und die Umwelt und die Menschheit Gutes, wenn ich nächstes Mal zum Wandern einen Eschenholz-Axtstiel mitnehme......

;-))))